Heft 
(1.1.2019) 05
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Lecile.

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aller Intimität zwei Stunden lang neben ihr ge­sessen. Und ich sah wohl, wie sie jedesmal Ihren Arm nahm und ihn zustimmend drückte. Sie hat überhaupt etwas von einer Massage-Doctorin."

Und Cäeile?"

Ach, die arme Frau! Es wird wohl auch nicht alles sein, wie's sein sollte. Schönheit ist eine Gesahr von Jugend auf; nicht als ob ich aus Erfahrung spräche, dafür ist gesorgt. Aber sie ist lieb und gut und viel zu schade. Gebe Gott, daß es ein gutes Ende nimmt."

Einundzwanzigstes Kapitel.

Es war spät geworden und der Wächter patroul- lirte schon durch die Lennostraße hin, als Gordon wieder vor seiner Wohnung anlangte. Rosa hatte, den ganzen Weg über, beinah unausgesetzt ge­sprochen, am meisten über St. Arnaud, auf den sie wiederholt und mit einer gewissen Theilnahme zu­rückgekommen war.Er läßt viel zu wünschen übrig und ich möcht' ihn nicht zum Feind und fast ebenso wenig zum Freunde haben; aber trotz alledem ist er immer noch der Beste, weil der Ehrlichste. Natür­lich seine arme Frau ausgenommen. Erst gestern wurde bei Grolmanns von ihm gesprochen und wenn auch nicht gerade mit Respekt, so doch min­destens mit Bedauern. Es war ein Unglück, daß er den Dienst quittiren mußte. Blieb er in der Armee, so war alles gut oder könnt' es werden. Jetzt ist er verbittert, befehdet was er früher ver­göttert hat und sitzt aus der Bank, wo die Spötter sitzen. Und das ist eine schlimme Bank. Er war ganz Soldat und ging darin auf. Nun hat er nichts zu thun und steht im Tattersall umher oder besucht den Club, ja, fast läßt sich sagen, er lebe da. Vor Tisch liest er Zeitungen, nach Tisch spielt er Whist oder Billard; das klingt sehr harmlos, aber, wie Sie vielleicht wissen werden, es geht um Sum­men, die für unsereins ein Vermögen bedeuten."

Gordon folgte jedem Wort und fragte nach dem, was ihn selbstverständlich am meisten interessiren mußte: nach dem Verhältniß und der Lebensweise des Ehepaares untereinander. Aber was er als Antwort darauf hörte, war im Wesentlichen nur eine Bestätigung dessen, was er schon während der Harzer Sommertage beobachtet hatte.Ja," schloß Rosa, sein Verhältniß zu Cocile, das ist die xartio llon- t6n,86. Da Hab' ich kein gutes Wort für ihn. Mit­unter hat er seinen Tag der Rücksichten und Auf­merksamkeiten und man könnte dann beinahe glauben, er liebe sie. Aber was heißt Liebe bei Naturen wie St. Arnaud? Und wenn es Liebe wäre, so liebt er sie, weil sie sein ist, aus Rechthaberei, nur Dünkel und Eigensinn und weil er den Stolz hat, eine schöne Frau zu besitzen. In Wahrheit ist er ein

alter Gar§on geblieben, voll Egoismus und Launen, viel launenhafter als Cacile selbst. Die Aermste hat ihr Herz erst neulich darüber zu mir ausge­schüttet. «Er hält, sagte sie, viertelstundenlang meine Hand und erschöpft sich in Schönheiten gegen mich und dann geht er ohne Gruß und Abschied von mir und hat auf drei Tage vergessen, daß er eine Frau hat«."

Das und viel anderes noch ging Gordon im Kopse herum, als er wieder in seiner Wohnung war; vor allem aber klang ihm das im Ohr, was Rosa gleich zu Beginn ihrer Unterhaltung gesagt hatte:Gebe Gott, daß es ein gutes Ende nimmt."

*

Zu guter Zeit war er aus und bei seinem Kaffee, schob aber die Zeitungen, die die Wirthin gebracht hatte, zurück. Alles Behagens unerachtet, war er in keiner Lesestimmung und beschäftigte sich nach wie vor mit dem, was ihm der gestrige Tag gebracht hatte. Die Fenster standen auf und er sah hinaus auf den Thiergarten. Ein seiner, von der Morgensonne durchleuchteter Nebel zog über die Baumspitzen hin, die trotz der schon vorgerückten Jahreszeit, kaum ein welkes Blatt zeigten; denn am Tage vorher war es windig gewesen und das Wenige, was sich bis dahin von gelbem und rothem Laube mit eingemischt hatte, lag jetzt unter den Bäumen und bildete Muster auf dem Rasenteppich. Dann und wann fuhr ein Wasserkarren langsam durch die Straße; sonst alles still, so still, daß Gordon es hörte, wenn die Kastanien ausschlugen und aus der Schale platzten.

Ein immer wachsendes Wohlgefühl überkam ihn. Ich glaube, ich bin so glücklich, weil ich wieder in der Heimat bin. Wo war ich nicht alles? Aber solche Momente hat man nur daheim."

Als er sich wieder zurückwandte, vernahm er deutlich, daß draußen auf dem Corridor gesprochen wurde.Der Herr muß unterschreiben." Und gleich danach trat der Briefträger ein. Er brachte Karten und Geschäftsanzeigen, der eingeschriebene Brief aber, über dessen Empfang quittirt werden mußte, war der lang erwartete von Schwester Clothilde.

Nun endlich."

Gordon setzte sich in den Schaukelstuhl am Fenster, um hier oon ainoro zu lesen.

Mein lieber Roby. Deinen zweiten Brief, in dem Du Dich über mein Schweigen beklagst, erhielt ich gleichzeitig mit dem ersten. Ich fand beide hier vor, als ich vorgestern Abend von meinen Welt­fahrten nach meinem lieben Liegnitz zurückkehrte. Dein Brief aus Thale war mir selbstverständlich nach Johannesbad und weil er mich dort nicht mehr traf, nach Partenkirchen hin nachgeschickt worden.