MM
Agmeme
Der Zimmergarten. Die Liebe zu den Blumen, zu den Pflanzen überhaupt, gewinnt immer weitere Kreise, so ungefähr sagten wir schon in der Vorrede zu unserer, vorige Weihnachten im Buchhandel erschienenen „Zimmerflora"; in demselben Maße werden schöne, aber längst vergessene Pflanzen aus ihrer Verborgenheit hervorgeholt; sie werden wieder beliebt und von neuem weiter verbreitet; neue Pflanzen aus Nord und Süd, aus Ost und West werden fortwährend eingeführt, neue Formen durch die Kunst gebildet; Kunst und Wissenschaft schreiten unaufhaltsam weiter fort; neue Beobachtungen und Erfahrungen über die Natur der Pflanzen und damit über die Pflege derselben werden zuerst im engeren Kreise der Gelehrten und Fachgenossen bekannt, drängen sich in die weite Welt und erleichtern, sichern das Gedeihen auch unserer Lieblinge, der Pflanzen und Blumen im Zimmer, selbst bei der Pflege durch den Laien, der sie liebgewonuen hat und sich von ihnen nicht trennen will. Diesem Drange Worte zu leihen, ist der Zweck, zu welchem die Redaktion dieser schönen Blätter uns einen, wenn auch nur kleinen und selten bereiten Raum zur Verfügung gestellt hat.
Die nun und später folgenden Zeilen haben aber noch einen andern Zweck als den, die mehr als 40jährigen Erfahrungen eines praktischen Gärtners und Lehrers des Gartenbaues in weite Kreise zu tragen: sie sollen auch anregen zur Erziehung und Pflege der Pflanzen im Zimmer, in welchem sie nicht nur der Liebe zu den Blumen dienen, sondern auch Nutzen stiften sollen.
Hier und da sind nämlich Heilanstalten für Brustkranke entstanden, für welche der Aufenthalt in den mit lebenden Pflanzen geschmückten Räumen ein Heilmittel ist, wie die sogenannten Wintergärten in Or. Broh- mer's Heilanstalt Görbersdorf in Schlesien, die iu Falkenstein im Taunus u. a. beweisen; wer aber nicht geneigt oder noch nicht gezwungen ist, solche Heilanstalten als letzten Hvffnungsanker zu benutzen und der sich deshalb sein eigenes Heim zur Heilanstalt wird einrichten wollen, indem er seine Wohnräume mit lebenden Pflanzen ziert, und diese selbst Pflegt, dem wird vielleicht mit einigen Rathschlägen über die Behandlung solcher Pflanzen gedient sein. —
Wenn wir dem geneigten Leser dann und wann eine Gruppe von Pflanzen oder ein einzelnes Mitglied derselben vorzuführen uns erlauben werden, so müssen wir uns heute auf einige Haupt-Grundsätze beschränken, nach denen die Zimmerpflanzen angezogen und behandelt werden sollen.
„Ich kann sie . kaum erwarten,
Die erste Blum' im Garten,
Die erste Blüth' am Baum.
Sie grüßen meine Lieder" — —
Sv ungefähr singt wohl manche liebliche Maid mit Vater Goethe, wenn sie ihre Lieblinge, die „Blumenstöcke", betrachtet, die unter dem langen noch heute am 13. März streng herrschenden Winter mehr leiden als der mehr widerstandsfähige Mensch, mehr leiden, besonders wenn sie einen ungünstigen Standort einnehmen.
Denn nicht jedes Zimmer ist für jede Pflanze ge eignet, weil diese, mit wenigen Ausnahmen, das Licht mit dem Lichtspender, die Sonne, und frische, gesunde Luft liebt; sie fordert auch wohl eine Temperatur, welche sie die Heimath vergessen macht. Das ist nicht immer das warme Wohnzimmer, sondern auch ein minder warmer, selbst ein kalter, wenn auch frostfreier Raum. Viele unserer liebsten Pflanzen begnügen sich selbst mit dem dunklen, immer aber frostfreieu Keller.
Im Allgemeinen stehen unsere Pflanzen am besten in einem nach Osteir oder Westen gelegenen Wohnzimmer, dem die durch Fensterscheiben verstärkte und deshalb schädliche Mittagssonne entzogen ist; liegt das Zimmer nach der Mittagsseite zu, so muß man durch Vorrichtungen zur Beschattung dafür sorgen, daß die Pflanzen in der warmen Jahreszeit von 10 oder 11 bis 3 oder 4 Uhr von der Sonne nicht getroffen werden. Diese Vorrichtungen bestehen in Rollvorhängen aus einem genügend festeir Stoff, welcher aber die Sonnenstrahlen nicht ganz und gar ausschließt. Gut stehen die Pflanzen im Doppelfenster solchen Zimmers.
Aber der Raum zwischen den Doppelfenstern unserer neueren Bauten ist gewöhnlich sehr eng; man sollte ihn deshalb um einige Centimeter erweitern, nach außen oder nach innen oder auch beides, den Boden auch mit einem Zinkblech bekleiden und über diesem einen zweiten Boden anbringen, unter welchem zur Erwärmung des ganzen oberen Raumes warmes Wasser gehalten werden könnte, welches auf der einen Seite einzugießen, auf der anderu Seite abzulassen wäre. Um statt Wasser erwärmten und länger warm bleibenden Sand anwenden zu können, müßte ein beweglicher Kasten vorhanden sein, den der betreffende Techniker wohl einzurichten wissen wird. — Die äußeren Fenster sind mit sogenannten Luftklappen zur Erleichterung des Luftwechsels zu versehen, die inneren aber sollten so weit beweglich sein, daß man den vollen Anblick des „Blumenfensters" genießen, die Pflanzen aber genügend pflegen iputzen, gießen, überspritzen) oder im Winter ihnen, im Nothfall, die ganze höhere Wärme des Zimmers zukommen lassen kann. Statt der Schattendecken des Sommers befestigt man dichte und bewegliche Winterdecken zum Schutz gegen die Nacht- und Morgenkälte an der Außenseite. — In solchem Doppelfenster gedeihen die meisten unserer Zimmerpflanzen sehr gut, und tragen die an den Wänden oder Fenstern emporklimmenden Schlingpflanzen außerordentlich viel zum Schmuck des Ganzen bei.