Allgemeine Rundschau.
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Für zartere Pflanzen wie Farnkräuter, Orchideen, Kannenpflanzen („Fliegenfallen") u. a. m. sollte man einen beweglichen Glaskasten bereit haben, der ebenfalls mit einem Doppelboden für warmes Wasser, mit Lnftklappen und einer Oeffnung zur Herausnahme und Pflege der Pflanzen versehen sein sollte und der gewöhnlich dicht am Fenster steht, aber während besonders kalter Nächte mitten im Zimmer aufzustellen wäre. — Zum hübschen Aussehen eines solchen Kastens wie des Zimmerfensters trägt das grüne Moos sehr viel bei, das man im Walde oder auf der Wiese pflückt, um damit den Boden dick zu bekleiden und die Pflanzen, mit oder ohne Töpfe, darin zu versenken; sie erfreuen sich darin einer gleichmäßigen Temperatur und Feuchtigkeit, welches viel zu ihrem guten Gedeihen beiträgt.
Die Pflanzen müssen auch gegossen werden, aber niemals eher, als bis die Oberfläche des Erdbodens trocken geworden, wovon man sich oft durch Anfühlen mit dem Finger überzeugen muß, und immer nur mit Wasser von der Temperatur des Raumes, in welchem die Pflanzen stehen; wenn man gießt, dann geschehe es durchdringend. L>v lange die Pflanzen wachsen, wird man viel, während der Ruhezeit, gewöhnlich im Winter, nur wenig das heißt selten gießen dürfen. Außerdem müssen auch zuweilen die Blätter bespült werden, im Winter selten, im Sommer aber wohl ein- oder zweimal jeden Tag, Morgens und Abends, niemals mit kaltein, sondern immer mit „überschlagenem", lauwarmem und durchaus reinem Wasser. Man benutzt zu diesem Zweck den sogenannten Thanspender oder Er- frischer, ein kleines handliches Instrument, das in jeder besseren Samenhandlung vorräthig ist.
Größere Pflanzen wird man im Zimmer selbst oder ans Tischen aufstellen können, welche letzteren sich dadurch zu „Blumentischen" umgestalten. Alan bildet in jedem Falle eine gleichmäßig abgerundete Gruppe zuerst von den größeren Pflanzen, eine Palme oder ein regelmäßig pyramidenförmig gewachsenes Nadelholz (eine „Conifere") stets in die Mitte und höher als die andern, die kleineren Pflanzen unter und zwischen jene, wodurch die Gruppe ein lockeres und doch geordnetes, aber eben deshalb schönes Aussehen erhält. O. Hüttig-Berlin
Zu unseren Illustrationen.
Lesendes Mädchen. Nach dem Gemälde von Ludwig Passini. Welche Arbeiten des berühmten Aquarellisten L. Passini wir auch betrachten mögen, ob er in ihnen volksthümliche Typen Venedigs: Wassermelonen- verküufer, Gemüsehändlerinnen oder Wasserträgerinnen, Schiffknechte oder Gondeliere, glänzenderömische Prozessionen, psalmodirende und catechisirende Geistliche oder beichtende Sünder und vornehme Chorherren darstellt, immer empfinden wir, daß es vorzugsweise die nur dem Principe des Malerischen sich unterordnende Wahrheit ist, welche der Kraft Ludwig Passini's den ihr eigenen Reiz verleiht und sie vor Memoirirtheit bewahrt, an der schon so mancher hochbegabte Künstler zu Grunde ging. Wie selbst ganz, gewöhnliche Vorgänge durch den Pinsel Passini's künstlerische Bedeutsamkeit gewinnen, das zeigt die in diesem Hefte enthaltene Reproduktion des in Allem so überaus einfachen und doch so ungemein ansprechenden Bilde des lesenden Mädchens unseres genialen Meisters. Die Zahl der Bilder, welche Romane oder Briefe lesende Damen, in Albums und Jllustrationswerken blätternde niedliche Backfischchen und dergl., darstellen, ist Legion, aber die wenigsten dieser Schönen thun das wirklich, was sie ihrer Haltung nach zu thun scheinen, nur ihre Augen sind auf das Papier gerichtet, Herz und Verstand dabei nicht betheiligt. Wie ganz anders weiß Passini's „lesendes Mädchen" zu fesseln, das dem Kindesalter kaum entwachsen,
in die eine neue Welt ihr eröffnende Lectüre sich so vertieft hat, daß man getrost in das Zimmer treten könnte, ohne von ihm bemerkt zu werden. In diesem der Wirklichkeit abgelauschten, seelisch nachempfindenden Moment liegt der Zauber dieser einfachen Darstellung. Bianca liest wirklich! Störe sie Niemand, damit das, was sie so ganz erfüllt — denn schlechte Bücher kommen nicht über die Schwelle dieses Hauses — in ihrem unschuldsvollen Herzen Wurzel schlägt und der Augenblick des Zufalls gute Früchte trägt. 8.
Der Bravo von Meissonnier. Die Sonne des großen Jahrhunderts strahlte noch in ihrer Morgenröthe, und die Sonne des Jahres glänzte erst über Lenzes- knvspen. Es war ein Maientag gegen Ende der Regierung Sr. Eminenz des Cardinals von Richelieu, welcher alle grünen Blätteraugen zum Oeffnen brachte, alle Kuppeln der vielgerühmten Stadt Paris in eitel Gold umwandelte und die ganze schöne Welt eben dieser wohlgerühmten Residenz auf die Straßen und unter die Bäume der rsinxmrts lockte. Alles was vornehm und reich war, was eine Carrosse, einen Läufer, ein geputztes Pferdchen, ein vergoldetes Wehrgehäng, oder einen Pagen zum Schlepp- trägen hatte, wimmelte da im ersten Maienstrahle unter den noch laublosen Bäumen der xlnes ro^alo dahiu. Daß Einem wohl die Augen übergehen mochten, wenn diese Augen weniger falkenartig waren wie die des ältlichen Schnapphahns, welcher im tiefschattigen Thorwege des Hotels Combalet stand.
Und ein echter Schnapphahn war er, der Capitän Matamor, wie man ihn nach dem Eisenfresser in den Komödien des Hotels de Bourgogne zubenamset hatte, so daß man darüber seinen wirklichen Namen Clauderet ganz vergesseil.
War Capitän Matamore ein Soldat? sein langes Rapier behauptete es. Bei welchem Regiments? Das wußte Niemand. Welche Schlachten hatte er mitgemacht? Ja, wer hätte das sagen können?
Er war ein Kriegsknecht für die Schlachten, welche in den Gassen geliefert wurden, an den Ecken einsamer Höfe, am Ausgange schmutziger Kneipen; er diente Jedem, der ihn zahlte, und sein Feind war Jeder, der aus dem Wege zu räumen war. Er hatte eine rothe Nase vom schlechteil Wein, und ledergelbe Wangen von der Liederlichkeit, einen Mund voller Flüche und eine Seele, die so zerfetzt, durch alle Pfützen gezogen, blutbefleckt und in Koth getreten war wie eine eroberte Fahne. Wo lebte er? In Winkeln, hinter Thorslügeln, in Mauslöchern, in den Spielzimmern der Winkelkneipen. Er hatte ein Sammt- wamms, so schäbig als wenn man damit die Stiegen eines Tripots gescheuert hätte, Bleinkleider, auf denen jedes Laster seine Marke zurückgelassen, einen Halsschild, so zerhaut wie eine Karbonade und Taschen, zerrissen wie ein Hexenkleid bei der Heimfahrt vom Blocksberge.
Da stand der würdige Capitän Matamore und schaute aus dem Schatten auf die im Sonnenlichte draußen fahrende, reitende und wimmelnde Menge hinaus.
— „Seine Eminenz in der Sänfte!" — murmelte er. „Wie die Garden sich da drängen, und die Trabanten und die Lakaien — ärger, als wenn der König in seiner Carrosse angefahren kommt. Freilich! Was ist auch der König gegen den Herrn Cardinal! . . Und doch, Herr Cardinal, was wäret Ihr ohne mich? Längst wäret Ihr von Eurer Höhe gestürzt durch den empörten Adel, wenn ich's nicht von Zeit zu Zeit übernähme, diese tollköpfigen, ehrgeizigen Herzoge, Prinzen und Fürsten zu einer Rauferei, zu einem Duelle gegeneinander zu Hetzen in ihren Kneipen, so daß Ihr dann nur zuzugreisen und die, welche Euch lästig sind, auf's Schasfott schicken könnt — haben sie sich doch gegen das Duellverbot vergangen. Ja, Eure Eminenz,