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Allgemeine Rundschau,
wenn ich nicht wäre, würdet Ihr nicht mehr so gnädig herausnicken aus Eurer Sänfte! — Und dort, Messire Tervaux, der Commandant von Paris, wie stolz er auf seinem Pferde sitzt! Ei, Messire, wodurch seid Ihr denn zum höchsten Soldaten unserer Residenz avancirt? Durch meine Wenigkeit? Mich hast Du engagirt, den vorlauten Sergeanten niederzumachen, welcher Mylord Buckingham ertappte, als er sich aus den Gemächern einer allerhöchsten Dame schlich. Für den Degenstoß, den ich dem Plauderer im Morgengrauen in der rua <ü Ularou versetzte, wurdest Du als „Retter der Königin" zu Deinem Posten erhoben. Und dort der schöne Herzog von Roquemaure mit seiner zärtlichen Gattin! Ei, Du girrendes Liebespaar, Ihr hättet Euch nie freien können, wenn mich Monsieur von Roquemaure nicht beauftragte, Deinen ersten Gemahl in eine Rauferei zu verwickeln und denselben zu expediren. Und dort, der kleine Prinz Quemenae, das blasse, liebe Kind, der reichste Erbe von Paris in seiner vergoldeten Carrosse! Was wärst Du, wenn ich nicht Deinen Stiefbruder auf Anstiften Deiner gnädigen Mutter hätte — verunglücken lassen auf der Jagd von Nemours, so daß Du die Millionen und den Titel erbtest? . . Eure Eminenz, Monsieur General, Madame Herzogin und Monseigneur Million . . . Wer hat Euch zu dein gemacht was Ihr seid, oder Euch verschafft, was Ihr habt? . ."
Im Sonnenschein draußen prahlte und lächelte die vornehme Welt und bildetete eine lustige Komödie für den stillen Beobachter im Thorwege. Capitän Matamore lachte laut auf. E. M. Bacano.
Abendgebet. Nach dem Gemälde von F. Roubaud. Man macht sich von der mohammedanischen Religion gewöhnlich eine sehr falsche Vorstellung und meint, sie damit abzuthun, wenn man sie als eine Religion der Sinnlichkeit und des Fatalismus bezeichnet. Dies ist aber keineswegs der Fall, und wer längere Zeit im Orient gelebt und dabei Gelegenheit gehabt hat, die Mohammedaner näher kennen zu lernen, bekommt einen ganz anderen Begriff von ihnen, und zwar entschieden zu ihren Gunsten.
Die eben angedeuteten Glaubenselemente bilden, namentlich von unserem christlichen Standpunkte aus, die Schattenseiten des Islam, aber sie treten zurück gegen manche wahrhaft erhebende Lichtseiten desselben. Bier- Gebote sind es hauptsächlich, die der Koran den Gläubigen als strenge Gesetze einschärft und ohne deren Befolgung ihnen das Paradies des Jenseits verschlossen bleibt: das Gebet, das Almosengeben, das Fasten und die Wallfahrt nach Mekka zum Grabe des Propheten, und von diesen vier Geboten sind die zwei erstgenannten die wichtigsten. Das Gebet steht unter diesen beiden wieder obenan, und wer einen gläubigen Mohammedaner nur einmal hat beten sehen, kann sich eines Gefühls von Ehrfurcht unmöglich erwehren.
Der Koran schreibt seinen Bekennern ein fünfmaliges Beten täglich vor, wobei freilich ein Theil der Nacht mit hinzugerechnet wird, denn um zwei Uhr nach Mitternacht steigen die Mueddim (die Gebetrufer) auf die Minarete der Moscheen und rufen laut in die schweigende Nacht hinaus: „Betet! Gebet ist besser denn Schlaf!" Der Eindruck, den dieser gesangähnliche Ruf hervorbringt, ist für den Fremden, der ihn zum ersten Male hört, von ergreifender Wirkung. Der Gläubige, der ihn vernimmt, verläßt sein Lager, spricht die vorgeschriebenen Verse des Korans und legt sich wieder nieder.
Mit dem gewöhnlichen Gebet am Tage, und zwar Morgens, Mittags und Abends, welche Zeiteintheilung dem katholischen Angelus entspricht, ist die Abwaschung (das Wudu) verbunden, die vorhergehen muß, damit das Gebet Gott wohlgefällig sei. Diese Abwaschung, wenn man sie auch noch so oberflächlich vollzieht, indem mau Gesicht und
Hände leichthin mit etwas Wasser bespritzt, darf durchans nicht unterlassen werden; deshalb befindet sich auch im Vorhof einer jeden Moschee ein Bassin oder ein laufender Brunnen .... „rein muß die Seele sein," sagt der Koran, „wenn sie mit Gott redet." Wo das Wasser fehlt, etwa in der Wüste oder sonstwo, darf der Gläubige einige Fingerspitzen voll Sand oder Erde nehmen, um der Vorschrift zu genügen, aber man sieht daraus, wie wichtig dieselbe ist.
Ebenso soll auch der Ort, wo das Gebet verrichtet wird, rein sein, weshalb jeder Mohammedaner einen sogenannten Gebetsteppich hat, den er vor sich auf dem Boden ausbreitet, wenn er beten will. Dieser Teppich ist bei den Reichen oft sehr kostbar, wie Goldbrokat, und in der Mitte ist dann das Bild der großen Moschee zu Mekka eingewebt; ihn mit den Schuhen oder Pantoffeln zu bebetreten, wäre eine große Profanation. Deshalb legt auch der Beter immer vorher seine Fußbekleidung ab und betet in Strümpfen oder mit nackten Füßen. Auch der Aermste ist mit einem solchen Teppich versehen, und wäre es nur eine abgenutzte, halb durchlöcherte Matte; und wenn er selbst die nicht hat, so bittet er einen Freund und Nachbar darum, und man darf die Bitte nicht abschlagen.
Schließlich ist auch die Richtung, das heißt die Himmelsgegend zu beachten, nach welcher der Beter sich wendet, nämlich nach Mekka hin, zur Kaaba, dem Grabe des Propheten, dem größten Heiligthum der islamitischen Welt. Für Aegypten und überhaupt für ganz Afrika ist es mithin der Osten, „wo die Sonne aufgeht"; für die Mohammedaner Asiens dagegen der Westen, denn man darf nicht vergessen, daß über fünfzig Millionen Bekenner des Islam in Asien wohnen, und auf der ganzen Erde nach einer neueren, allerdings ziemlich unsicheren Schätzung gegen hundert und vierzig Millionen.
Charakteristisch ist ferner die Ungezwungenheit, man möchte sagen, die Ungenirtheit, mit welcher der Mohammedaner seine Gebete verrichtet. Mitten in den volkreichsten Straßen, z. B. in Cairo, oder in dem buntesten Gewühl der Bazare .... die Helle Stimme der Mueddim erschallt aus der Höhe, und sofort legt der Handwerker, der in seiner offenen Werkstatt arbeitet, das Geräth aus der Hand, ebenso der Kaufmann oder Händler die Waare, unbekümmert um den wartenden Kunden. Er breitet seinen Teppich aus, stellt sich mit dem Gesicht nach Osten darauf, benetzt sich mit Wasser, erhebt die Hände und verneigt sich dreimal tief, sodaß die Stirn den Boden berührt; dann spricht er das Gebet der Tageszeit, bleibt noch eine Weile auf den Knieen liegen, erhebt sich, rollt seinen Teppich wieder auf und setzt nun die unterbrochene Arbeit oder das angefangene Gespräch fort. Um die Mit tagszeit kann man sie so zu vielen Hunderten überall beten sehen und Niemand nimmt weiter Notiz davon. Biel Aeußerlichkeiten und bloße Formen mögen wohl dabei mit unterlaufen, aber es macht doch einen wohlthuenden Eindruck, und warum sollten nicht viele es aufrichtig meinen und ein wirklich frommes Gebet gen Himmel senden?
Zu jeder größeren Karawane gehört ein „Gebetmacher", welches Amt oft der Anführer selbst übernimmt. Beim Aufbruch in der Frühe, bei der Rast an der Lüsterne um die Mitte des Tages, beim Aufschlagen des Nachtlagers im Vollmondschein — jedesmal ertönt der ernste Ruf: „Allah akbar!" Gott ist groß! .... Sie steigen herab von ihren Kameelen, neigen sich, nach Osten ge richtet, und sprechen: „Allah schützt und bewacht die Guten auf ihrer Fahrt und wendet die Noth wenn man ihn anruft." Mancher christliche Reisende könnte sich daran wohl ein Beispiel nehmen.
Auch der einzelne Reisende, der Beduine oder der arabische Kaufmann, der auf seinem treuen Pferde einen Wilstenritt unternimmt, vergißt das Gebet nicht. Als er