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(01/01/2019) 06
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Moritz von Reichenbach.

O, meine Aussichten gestalten sich besser als ich dachte. Durch eine besondere Bekanntschaft habe ich erfahren, daß Herr L., der Besitzer der großen Waldungen, welche an Lorbeck grenzen, gegen ent­sprechenden Entgelt geneigt ist, besonders qualifieir- ten Badegästen den Abschuß einiger Hirsche zu ge­statten. Er soll in schlechten Verhältnissen, selbst nicht Waidmann und sehr erbost über den Wild­schaden sein, den die Hirsche seinen Feldern zufügen. Ich habe mich durch den Förster um die betreffende Erlaubniß beworben und habe sie erhalten für mich und auch gleich für alle Fälle für einen noch mit- znbringenden Freund"

Einen Hirsch zu schießen, das wäre allerdings eine willkommene Abwechslung hier wo nimmt man aber eine gute Büchse her?"

Der Förster verleiht sie wenn Sie wollen lasse ich ihm Ihretwegen das Nöthige sagen:."

Ich würde Ihnen wirklich dankbar sein" Nichts einfacher als das ans dein Rückweg gehen wir an dem Blumenladen vorbei, den des Försters Töchterlein hält"

Ach, die hübsche Blnmenverkäuferin mit den dunklen Augen"

Dieselbe aber bitte halten Sie sich an die Hirsche, auf die ich Sie kameradschaftlich auf­merksam machte und"

O, ich komme Ihnen bei den dunklen Augen nicht in's Gehege das ist nicht mein Genre." Um so besser!"

Die Gesellschaft vor ihnen hatte Halt gemacht. Frau von Seiger erklärte, ihre Stieftochter müsse sich durchaus ausruhen. Karl mußte ein Plaid über einen Stein breiten, Frau Eva wurde ge- nöthigt, sich darauf zu setzen und ein zweites Plaid um die Schultern zu nehmen.

Aber ich bedarf es wirklich nicht," sagte sie mit ihrer schüchternen Stimme, die sofort durch die lauten Worte ihrer Stiefmutter zum Schweigen gebracht wurde.

Eva ist so zart, ich versichere Sie, Herr von Hagen, sie hält viel weniger aus als ich alte Frau, man muß sie so sehr hüten"

Ich weiß nicht, weshalb Sie meine Schwäge­rin stets mit sich vergleichen," murrte der alte Baron.Es ist natürlich, daß man in ihrer Lage mehr gewohnt ist Rücksichten von Anderen zu em­pfangen als in der Ihren"

O, mein lieber Baron, jede Dame kann ge­wisse Rücksichten verlangen"

O ja, verlangen kann überhaupt Jeder, indeß es fragt sich nur, ob das »Verlangen« etwas nützt. Am meisten erfreuen doch die Aufmerksam­keiten, die man empfängt, ohne sie zu verlangen." Er wandte sich an Frau Eva, die ein Farrenkraut- blatt in der Hand hielt und ganz in dessen Be­trachtung versunken schien:Karl hat die richtige

Stelle getroffen, um Sie vor der Sonne zu schützen, nicht wahr? Sein Schirm beschattet gerade Ihren Kopf." Karl machte eine unwillkürliche Bewegung, er hatte an nichts weniger als an eine Aufmerk­samkeit für Frau Eva gedacht, als er seinen Schirm ansspannte. Der alte Herr lachte.Er wollte unbemerkt bleiben mit seinem Schattenspender, der gute Karl," sagte er,aber ich bin nun einmal so ein ungeschickter alter Bursche, der in die feinsten Fäden hineintappt, ha ha ha!"

Der alte Herr schien sich sehr zu amüsiren. Karl machte ein ärgerlich verlegenes Gesicht und Frau Evas Blick flog müde über die Gruppe der sie umgebenden Verwandten und begegnete dem Blicke Hvrsts. Eine flüchtige Röthe stieg in ihren Wangen auf, mit einer schnellen Bewegung erhob sie sich und die kleine Karawane setzte sich wieder in Marsch. Man erreichte ohne Zwischenfall die Bergspitze.

Reizend, zu reizend, nein wirklich zu reizend!" rief Fräulein Irene, rings ccm die Plattform, von welcher aus man die Gegend weithin überblickte, gehend. Der Baron und Frau von Seiger stritten sich über die Namen der Bergspitzen, die Brüder Hersall beschäftigten sich mit ihren Cigarren.

Da stand Frau Eva plötzlich an Horsts Seite. Ich muß Sie sprechen noch einmal ungestört," sagte sie leise, während ihr Blick weit hinaus über das sonnige Land schweifte.

Horst neigte stumm den Kopf.

Morgen, in der Schonung," fuhr sie mit leicht zitternder Stimme fort.

Ich werde dort sein, Baronin."

In eigenthümlicher Erregung trat er den Rück­weg an, auf welchem Frau Eva sich wieder in möglichster Entfernung von ihm hielt.

Er verbrachte eine fast schlaflose Nacht. Frau Evas leise vibrirendes:ich muß Sie noch einmal ungestört sprechen" klang fort und fort vor seinen Ohren. Was wollte sie von ihm? Wenn sie unglücklich war und Horst zweifelte nicht daran, daß dies der Fall sei warum zerriß sie nicht mit einem Schlage all die Jntriguenfäden, die sie umspannten? Wußte sie nicht, was sie wollte, oder fehlte es ihr nur an Energie, ihren Willen durch­zusetzen? Wenn er sich ihr Zusammentreffen im Walde vergegenwärtigte, so erschien ihm diese Frau als die sympathischste Erscheinung, die ihm je ent­gegengetreten war, und wenn er dann an die Be­steigung des grauen Berges dachte, sah er diese selbe Erscheinung in ein Zerrbild verwandelt. Sie zog ihn an und stieß ihn zugleich ab und dieser Widerspruch, der in ihr sowohl als in seinem eigenen Empfinden lag, regte ihn auf und nahm ihm die kühle Objektivität, deren er sich sonst rühmte.