Frau Eva.
243
V.
Schon lange vor der gewohnten Zeit war er am anderen Tage im Walde. Er erwartete Fran Eva nicht vergebens und die Erregung, die ihr Gesicht heute verrieth, ihre brennenden Wangen und feuchtschimmernden Augen ließen sie Horst wieder neu und verändert erscheinen.
„Ich fühle, daß es ein ungewöhnlicher Schritt ist, den ich gethan habe, indem ich Sie um diese Unterredung bat," sagte sie hastig, „ich bitte Sie, mich deshalb nicht zu verurtheilen. Wir können uns nicht jeden Tag hier sehen und dann als Fremde einander begegnen, wenn ich von meinen Verwandten umgeben bin. Ebenso wenig ist es mir möglich, in Gegenwart derselben freundschaftlich mit Ihnen zu Verkehren, wie hier, wo wir allein sind. Deshalb werde ich nicht mehr in den Wald kommen — aber einmal mußte ich Sie noch sprechen, einmal mußte ich Ihnen das alles sagen — ich habe so viel Vertrauen zu Ihnen — ich weiß, wir würden sehr gute Freunde sein, wenn alles anders wäre als es eben ist — das sollten Sie alles wissen und deshalb bin ich gekommen, um Ihnen hier Lebewohl zu sagen."
„Sie sind gekommen um mir zu sagen, daß Sie Vertrauen zu mir haben," — ich danke Ihnen von Herzen dafür und würde glücklich sein, Ihnen beweisen zu können, daß ich dieses Vertrauen verdiene. Geben Sie mir Gelegenheit dazu, und, anstatt uns Lebewohl zu sagen, lassen Sie uns einen Freundschaftsbund schließen, sagen Sie mir, wie ich Ihnen nützlich sein könnte" —
Frau Eva senkte schweigend den Kopf.
„Sagen Sie mir, warum Sie nicht glücklich, warum Sie nicht so unabhängig sind, wie Sie es doch sein könnten," fuhr Horst, sich immer mehr erwärmend, fort. „Sie sind eine andere hier und in dem Kreise, in dem ich Sie gestern sah, mir ist als ob ein unheimliches Räthsel Ihr Leben verdunkelte — sagen Sie mir, was es ist, und ob es kein Hülfsmittel dagegen giebt. Gestern noch durfte ich nicht wagen, diese Frage an Sie zu richten — aber heute, nachdem Sie mir gesagt haben, daß Sie mir vertrauten, heute darf ich auch auf eine Antwort hoffen, nicht wahr?"
Frau Eva stand immer noch schweigend neben ihm. Eine Thräne stahl sich unter ihren langen goldnen Wimpern hervor und rollte langsam über ihre Wange herab, ohne daß sie eine Bewegung machte, sie zu verwischen.
Endlich hob sie den Kopf und blickte Horst an.
„Helfen können Sie mir nicht," sagte sie leise, „aber wissen sollen Sie wenigstens, daß Sie recht gesehen haben. Ein Schatten lastet allerdings ans meinem Leben, aber derselbe ist kein dunkles Räthsel — er ist einfach eine Pflicht der Dankbarkeit.
— Wenn ich dieselbe nicht freudig erfülle, so ist das nur meine eigne Schuld, und wenn ich darunter leide, so kann ich doch Niemand dafür verantwortlich machen, als mich selbst. Kommen Sie, setzen wir uns ans meinen lieben Platz dort in der Schonung, ich will Ihnen erzählen, wie alles so kam und so wurde, wie es heute ist."
Schweigend folgte er ihr.
„Mein Vater war der schönste und liebenswürdigste Mann, den ich je gesehen habe," fuhr sie fort, als sie den Platz erreicht und sich zwischen dem Farrenkraut niedergelassen hatten. „Er hatte nur einen Fehler und auch diese Bezeichnung ist zu hart für seine unbeschränkte Großmuth seinen Freunden gegenüber, für seine vielleicht allzuweitgehende Gastfreundschaft und seine Freude an schönem Geräth, edlen Pferden und allem, was das Leben schmückt. Es wäre mir unmöglich, das Bild meines Vaters mit einer dürftigen Umgebung oder kleinlichen Verhältnissen in Zusammenhang zu bringen, er lebte eben, wie es seiner Natur angemessen war und wie er nicht anders konnte. Ich liebte ihn grenzenlos, um so mehr, als meine Mutter so jung gestorben war, daß ich mich ihrer kaum erinnerte, und ihm mein Herz also ungetheilt gehörte.
Als ich neun Jahr alt war, verheirathete er sich zum zweiten Male. Ich weinte zuerst über diesen Entschluß meines Vaters, denn ich hatte in meinen Märchenbüchern so viel von bösen Stiefmüttern gelesen. Aber die Frau meines Vaters war freundlich zu mir und störte in nichts meine Gewohnheiten. Die Zärtlichkeit meines Vaters gegen mich blieb dieselbe und ich söhnte mich bald mit der Stiefmutter aus, deren Schönheit und glänzende Toiletten auf meine kindliche Phantasie einen gewissen Eindruck machten. Nach einem Jahre wurde mir eine Schwester geboren — Irene. Ich liebte das zierliche Püppchen, wir waren immer zusammen und meine Stiesmama war wenig bei uns; der große Train, den mein Vater führte, nahm sie zu sehr in Anspruch. Da, eines Tages — es war mein Geburtstag und ich war eben 16 Jahr alt geworden, rief mein Vater mich in sein Arbeitszimmer und theilte mir mit, daß er einen Antrag für mich habe. Ich erschrak sehr, denn ich war es so wenig gewohnt, mich als erwachsen zu betrachten, daß der Gedanke, ich könne mich ver- heirathen, mir nie gekommen war. Ich habe auch nie verstanden, wie mein späterer Mann daraus verfallen konnte, um meine Hand zu werben, denn ich hatte kaum ein paar Worte mit ihm gesprochen, wenn ich ab und zu im Salon meiner Stiesmama mit ihm zusammengetroffen war, und ich wußte, daß ich mich in diesem Salon sehr linkisch benahm. Hersall war immer gut und freundlich zu mir
31 *