Issue 
(01/01/2019) 06
Page
244
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

244

Moritz von Reichenbach.

gewesen. Der Gedanke ihm durch einnein" wehe zu thun, wurde mir schwer, dennoch war ich zu überrascht, um einja" aussprechen zu können. Ich fiel meinem Vater um den Hals und sagte ihm, daß ich mich von ihm nicht trennen wolle, da ich Niemand auf der Welt so liebte als ihn. Ich sehe das ernste, liebe Gesicht meines Vaters noch vor mir wie es sich damals in jener ent­scheidungsschweren Stunde über mich beugte. Ich sah einen feuchten Schimmer in seinen Augen und die tiefe Stimme, deren Ton mir stets in's Herz drang, klang sehr bewegt, als er mir sagte, daß auch er mich am liebsten bei sich behalten würde, daß ihm aber der Gedanke unerträglich sei, mich entbehren zn sehen. Und dann sagte er mir, daß er nicht der reiche Mann sei, für den er galt. Er hatte schwere Vermögensverluste gehabt, er sprach davon, das Gut, das er besaß, zu verkaufen, in eine kleine Stadt zu ziehen und sich einzuschränken. Ich weinte, weil ich sah, daß er unter dieser Vorstellung litt für mich hatte sie nichts Abschreckendes und ich wiederholte nur, daß ich alles andre einer Tren­nung von ihm vorzöge. Er seufzte tief ans, bat mich, die Sache noch einmal zu überlegen und ich verließ das Arbeitszimmer mit der Vorstellung, daß diese Heirathsangelegenheit abgethan sei. Vor der Thür traf ich meine Stiefmutter. Mit einer bei ihr ganz ungewohnten Heftigkeit erfaßte sie meine beiden Hände und blickte mir forschend in die Augen.

Nun?" fragte sie mit so gespanntem Ausdruck, daß es mich peinlich berührte,nun, mein Kind, willst Du uns retten oder läßt Du uns zn Grunde gehen?"

Retten, oder zu Grunde gehen, wie meinst Du das, Mama?" fragte ich erschreckt. Da erzählte sie mir, was mein Vater mir verschwiegen hatte, daß es sich für uns nicht nur um einige Einschränkun­gen handelte, sondern daß wir vor dem völligen Ruin standen. Mein Vater brauchte eine größere Summe, um seinen Hauptgläubiger zu befriedigen

von all' seinen Bekannten war nur Hersall in der Lage, diese Summe vorzustrecken, und im Au­genblick, als mein Vater ihn darum bitten wollte, erfolgte Hersalls Antrag.Du begreifst, daß Dein Vater ihn niemals um diesen Freundschaftsdienst bitten kann, wenn er seinen Antrag ablehnen muß," sagte meine Stiefmutter,andererseits aber würde Deine Verbindung mit Hersall unsren Credit soweit heben, daß Dein Vater auch von anderer Seite das Geld geliehen erhalten würde, was jetzt nicht der Fall ist. Wir stehen vor der Subhastation weisest Du Hersall zurück, so stößt Du nicht nur Dich selbst, sondern auch Deinen Vater und uns alle in das Elend." Sie weinte als sie das sagte

ich hatte sie nur immer schön und lächelnd, nie weinend gesehen. Einmal über die Lage aufgeklärt

begriff ich, daß es für mich keiue andere Möglich­keit gab, als den Antrag des Barons anzunehmen. Das, was mir am schwersten dabei wurde, war der Gedanke an die Trennung von meinem Vater gegen den Baron hatte ich nichts einzuwenden. Ich war so sehr Kind, wie es wohl wenige Mädchen mit sechzehn Jahren sind, ich hatte nie die leiseste Regung einer andern Neigung empfunden als die zu meinem Vater und zu meiner kleinen Schwester, es war mir auch nie der Hof gemacht worden, denn meine Stiefmutter hatte mich stets als Kind behandelt und von der Gesellschaft fern gehalten. So fühlte ich mich geehrt durch den Antrag des so sehr viel älteren und angesehenen Mannes, und wenn ich mich auch lieber seine Tochter als seine Braut genannt hätte, so brachte ich ihm doch von vorn herein ein Gefühl großer Dankbarkeit entge­gen, weil ich sah, wie sehr glücklich mein Vater über diese Verbindung war. Und dieses Gefühl steigerte sich noch nach meiner Verheirathung, als ich durch einen Zufall erfuhr, daß mein Mann mit großen Opfern die Verhältnisse der Meinigen völlig geordnet hatte. Nie war ein Wort davon über seine Lippen gekommen ein Zufall, wie gesagt, klärte mich auf. Er war mir der beste, großher­zigste und edelste Freund, den ich je besessen, und ich hätte ihm gern mein ganzes Leben gewidmet, um ihm meine Dankbarkeit zu beweisen. Der Him­mel hatte es anders beschlossen. Er starb, nachdem ich acht friedliche, glückliche Jahre an seiner Seite verlebt hatte. Gleichzeitig verlor ich meinen Vater. Ein Schlaganfall raffte ihn in den: Augenblicke da­hin, wo er erfuhr, daß eine große Spekulation, durch die er mit einem Schlage sein Vermögen wiedergewinnen wollte, fehlgeschlagen war. Ich war völlig gebrochen und mir war, als sei auch mein Leben abgeschlossen. Haltlos und einsam stand ich in der Welt, die ich in den Jahren meiner Ehe nicht besser kennen gelernt hatte als vorher, denn wir hatten völlig einsam auf der ungarischen Herr­schaft gelebt. In seinen letzten Tagen hatte mein Mann seinen einzigen Bruder herbeigerufen.Er soll bei Dir bleiben als Dein Schutz, arme Maus," sagte er mir einmal, als ich an seinem Bette saß. Halte gute Freundschaft mit ihm und den Seinen es sind die einzigen Hersalls, die es noch giebt, da der Himmel uns einen Sohn versagt hat." So übernahm ich die Verwandten meines Mannes als ein theures Vermächtniß und gelobte mir, den Wunsch des Verstorbenen zu erfüllen und gute Freundschaft mit ihnen zu halten. Dennoch fühlte ich mich so grenzenlos einsam, daß ich meine Stiefmutter bat, mit Irene zu mir zu kommen. Sie kamen aus der kleinen Puppe Irene war ein großes Mäd­chen geworden, das mir scheu entgegentrat, und ich war noch so sehr von meinem Schmerz hingenommen,