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Moritz von Reichenbach.
Freiheit, ich, die ich nie gelernt habe, selbstständig zu sein? Nein, glauben Sie mir, es muß alles bleiben wie es ist — und ich werde das Leben auch wieder erträglicher finden, wenn ich in die gewohnten Verhältnisse zurückgekehrt sein werde. Nur hier in der freien Luft der Berge überkommt es mich wie unaussprechliche Sehnsucht nach Fernem, Unbekannten — nur hier fühle ich mich so unzufrieden und unruhig — ich will heimkehren — ich will an Sie denken wie an einen fernen Freund — ich bin ja in den Wald gekommen, um Abschied zu nehmen!"
Sie reichte ihm die Hand, die er zwischen seine beiden Hände nahm.
„Und warum wollen Sie nicht zuvor mit mir, den Sie doch Ihren Freund nennen, alle Möglichkeiten erwägen, welche eine Veränderung Ihrer Lage herbeiführen könnten?" fragte er.
„Es giebt keine Möglichkeiten, welche mich vergessen machen könnten, daß der letzte Wunsch meines Mannes der war, mich Freundschaft mit den Seinen halten zu sehen, und daß ich meinem Vater einst versprochen habe, stets für Mutter und Schwester zu sorgen."
„Wenn aber nun doch —"
„Nein, nein, sagen Sie mir nichts mehr — nichts ist zu ändern, und ich bin ja auch nur gekommen, um Abschied zu nehmen —"
Sie reichte ihm die Hand. Er drückte dieselbe an seine Lippen.
„Ich kann an diesen Abschied noch nicht glauben — mir ist's, als hätten wir einander noch so viel zu sagen, als dürste ich Dornröschen nicht wieder einfchlafen lassen —
Sie schüttelte den Kopf.
„Lassen Sie Dornröschen nur schlafen — es ist das Beste —- aber der Schlaf muß traumlos sein."
Schnelle Schritte kamen über den Waldweg daher und Frau Eva blickte erschreckt auf.
„Mein Schwager," rief sie leise.
Im nächsten Augenblick stand der alte Herr mit hochrothem Gesicht und gefolgt von seinem Sohne Karl vor Horst und Frau Eva und maß beide mit einem durchaus nicht freundlichen Blick.
Horst grüßte verbindlich.
„Sie suchen auch den Wald auf Herr Baron," sagte er, „er ist am schönsten in den Morgenstunden."
„Ich suchte meine Schwägerin, deren lange Morgenpromenaden uns beunruhigten, und ich bin froh, sie so bald gefunden zu haben," erwiderte der alte Herr ziemlich unwirsch. „Du ermüdest Dich zwecklos, liebe Eva, und wenn Du eine Begleitung wünschest, so weißt Du wohl, wie glücklich Du Karl durch das Aussprechen eines solchen Wunsches machen würdest. Er war, so wie ich, lebhaft beunruhigt —"
„O, da wir die Cousine in so guter Obhut finden," meinte Karl befangen und Horst die Hand reichend, „so war wohl kein Grund zurBesorgniß."
Der Baron hatte sich mit kurzem Gruß entfernt und führte seine Schwägerin davon, der Horst mit unzufriedenem Blick nachsah. Warum war sie so schwach, warum wagte sie nicht, ihrem alten Tyrannen entgegenzutreten?
„Ich bin wirklich rath- und trostlos," sagte Karl, sobald der Baron außer Hörweite war, „denke Dir, mein Vater verlangt von mir, daß ich noch hier um diese unglückselige Eva werbe — sie scheint Zuvertrauen zu Dir zu haben, ich bitte Dich, sage ihr, daß das unmöglich ist."
Horst machte eine ungeduldige Bewegung. „Verschone mich mit dieser Angelegenheit und sage ihr selbst, was Du zu sagen hast."
„Aber lieber Freund, ich bitte Dich, trage mir die Unfreundlichkeit meines Vaters nicht nach —"
„Das fällt mir nicht ein, aber alles, was ich für Dich thun kann, ist, daß ich Dir den Rath gebe: sei ein Mann und tritt muthig für Deine Freiheit und Deine Liebe ein."
„Wenn Du aber die Cousine hier öfter getroffen hast, wie die Seiger behauptet, so —
„Was behauptet die Seiger?"
„Mein Gott, nichts Schlimmes, sie sagte nur zum Vater, daß Du mit der Cousine spazieren gingest, sie will Euch neulich schon gesehen haben—"
Horst lachte höhnisch auf.
„O vortrefflich, Frau Eva ist wirklich ausgezeichnet aufgehoben — nun bitte ich Dich aber, thne mir den einzigen Gefallen und verschone mich mit Euren Familienangelegenheiten ebenso wie ich Euch möglichst mit meiner Gegenwart, gegen die Dein Vater ohnehin allerlei einzuwenden hat, verschonen werde."
„Aber ich bitte Dich" —
„Verzeih' mir, wenn ich unhöflich bin, aber ich bin etwas nervös heute Morgen, das Stillleben bekommt mir, wie es scheint, nicht — ich werde versuchen, meine Nerven durch die Jagd zu curiren."
„Du willst Dich Paul anschließen? Er sprach davon."
„Ja, und Du solltest auch mitkommen, das würde Dir besser thun, als immer zwischen den Damen zu fitzen."
Karl Hersall seufzte. „Du weißt nicht, was es heißt, täglich mit dem Gegenstände seiner Neigung zusammen zu sein, ohne Aussicht, seine Wünsche endlich erfüllt zu sehen."
Horst brach das Gespräch ab und eilte nach Hause.
„Am klügsten wäre es, ich reiste ab," sagte er sich, „Frau Eva ist nicht zu helfen, und was ich Karl Hersall sagte, ist die volle Wahrheit. Ich