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(01/01/2019) 06
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Heinrich Noä.

Schloß Fischhorn des Fürsten von Liechtenstein.

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umrauscht, schaut in die hohen, Weißen Einöden hinauf, bis in welche hinein damals die Gemüther von einer neuen Auffassung der ewigen Dinge erregt wurden. Ein mystischer Glanz schimmert von dort oben herab und die sich drängenden Wellen er­zählen von dem unablässigen und endlosen Be­mühen der Menschheit, sich durch alle Engen des Sinnenlebcns hindurch zu einer lichten Erkenntniß des Welträthsels einen Weg zu bahnen.

Der Reisende erreicht nun das freie Pongau und nimmt im Süden die Vormauern des östlich­sten Thales der Hohen Tauern, des Großarl-Thales, wahr. Immer folgt das Geleise den Fluthen der Salzach. Klar wälzen sie sich dem Flachland ent­gegen, wenn kühles Wetter über den Bergen liegt. Trüb, braun jagen sie daher, wenn trockene, heiße Witterung den Schnee und das Eis der Höhen angegriffen hat und die Wasser das vom Gletscher zerriebene Gestein, den Gletscherschlamm, mit herab­bringen.

Wir kommen an Bischofshofen vorbei, das ur­alte Denkmäler birgt. Dann an der Einmündung des Mühlbach-Thales, durch welches man über das anmuthige Dorf Mühlbach zur höchsten Erhebung desEwigen Schnee", dem Hochkönig, der fast 3000 Meter hoch ist, emporsteigt.

Nun kommt St. Johann. Eine schöne Som­merfrische. Klare' Wasser, hohe Berge, gute Her­bergen. Trotz alledem würde man den Namen in sämmtlichen Reisehandbüchern kaum fett gedruckt zu lesen bekommen, wenn nicht vor zehn Jahren der Abgrund, den sich die Wasser von Großarl in das silurische Gestein des Walles hineingerissen haben, welcher einst Großarl vom Salzachthal abschloß, von Naturfreunden zugänglich gemacht worden wäre.

Solche Abgründe nennt man in den vom baye­rischen Stamm bewohnten Ostalpen Klammen (von: klemmen). Diese hier die Liechtenstein-Klammen

nach dem gleichnamigen Fürsten, welcher die Ar­beiten der Erschließung unterstützte.

Es ist durchaus verfehlt, wenn Jemand an St. Johann vorüberfährt und sich diese Abgründe, die von den Gletschermassen durchtobt werden, nicht betrachtet. Die Industrie, den Reisenden dorthin zu schaffen, läßt sich schon nahezu schweizerisch nennen. Fuhrwerke und Wirthshäuser erleichtern die Reise, die für einen Fußgänger vom Bahnhof weg etwa eine Stunde beträgt.

Wer keine Eile hat, möge zu Fuß gehen. Da sieht er die Pforten des Gasteiner Thales und hinauf bis zu den weißen Gipfeln von Kaprun, die Abstürze der Wetterwand am Ewigen Schnee, das grüne Thal mit dem eisgrauen Fluß. In Winkler's Gasthof am Fuß des Berges oder in der Herberge zurschönen Aussicht" ist gute Rast. Bei Winkler mag er sich in das Fichtengehölz setzen und bei Traminer Rothem dem Spiel der Hellen Wasser im Wald und der Wolken um die Gipfel znschauen.

Durch Erlenwald erreicht der Wanderer end­lich das Felsenthor, nachdem er vielleicht seine Mappe mit mancher schönen Alpenpflanze geschmückt hat. Donner, der aus der finsteren Spalte dringt, kündigt ihm die Thätigkeit der Wasser an. Der Eingang der Spalte selbst ist durch eine Art von Pfahlbauwirthshans mit Kramladen verbaut und mag ein schwärmerisches Gemüth an die Schacherer in der Vorhalle des Tempels erinnern.

Hinter der Bretterthüre dieses Vorschlages be­ginnt die Klamm. Jeder Schweiz-Reisende keimt dieselbe aus der Tamina-Schlucht. Doch ist hier etwas mehr Abwechselung. Die Felseil oben schließen sich nicht so völlig wie dort.

Für Andere, die derlei nicht kennen, sage ich, daß unter den Holzstiegen oder den in die Felsen hinein ausgehaneuen Pfaden die Wasser mit be­täubendem Getöse sich in Schaumwirbeln drehen, um den Ausgang zu finden. Ein in das Wasser hineingeworsener Gegenstand dreht sich oft Stunden lang an einer Stelle umher, bevor er von den Wellen weiter gerissen wird. Von den Wänden rinnen Quellen und fallen Tropfen. Nach einer Weile lichtet sich die Felsenge und man gelangt zu einem grünen Anger, auf dem Gneisblöcke, von Thau und Wasserstaub benetzt, ihren matten Schim­mer zeigen und Alpenrosen blühen. Das ist eine schöne Stelle, um mitgebrachten Wein in froher Gesellschaft zu trinken und alle die Wassermänner leben zu lassen, die, gleich den Nicores im Beo­wulf, hier ihr schreckliches Wesen treiben.

Jetzt kommt aber erst das Aergste. Jenseits dieser lichten grünen Weitung verengt sich die Klamm wieder. Es wird finster. Unter Traufen