Eine Fahrt auf der Giselabahn.
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gehen die Wanderer zwischen den Wellen und der nassen Felswand dahin und die meisten lassen das Geländer nicht aus der Hand. Der Boden scheint zu zittern und man muß sich in die Ohren hinein schreien, wenn man einander etwas sagen will.
Ganz zu hinterst fällt das ganze Gletscherwasser ungefähr 100 Fuß hoch in einem Saus in die finstere Spalte hinein. Vor Donner, Wasserstaub, Dunkelheit, Kälte, welche das von den Gletschern kommende Gestände mitbringt, vergeht den Meisten Hören, Sehen und Reden.
Der geneigte Wanderer oder Leser wird aber noch immer nicht entlassen. Er muß über eine Brücke gerade neben dem Wasserfall — es ist in der That „die Brücke, welche stäubet" — in einen Tunnel. Dieser Tunnel wirkt in die Ohren des Pilgers hinein als vorzüglicher Schalltrichter. Sieht er das Licht wieder, so hat er neben sich den Abschwnng der Wasser, die sich eben anschicken, in die Klamm hineinznstürzen und in jenem Fall zu zerstäuben, den er vorhin trotz der Dunkelheit gesehen hat.
Was nun diesen Fall anbelangt, so ist er, wie sich begreift, am schönsten, wenn durch die Oefsnnng von oben die Sonne darauf scheint. Dann glänzt er wie ein Strom von Magnesium - Licht.
Zur selben Zeit sind auch oben, jenseits des Tunnels , die günstigsten Augenblicke. Denn es schweben dann die unkörperlichen Regenbogen in Bruchstücken, weil die Lnst- bewegnng den Gang der Traufen und Staubwolken in jedem Augenblick verändert, gleich leibhaftigen Geistern über dem Wasser.
Genug jetzt von der Liechtenstein-Klamm!
Eine Fahrt mit der Giselabahn führt uns nicht nur vom ebenen: Lande aus zu stets bedeutsamen Erhebungen und Schaustücken, sondern auch aus jungen Bildungen der Erdkruste zu immer älteren. Draußen waren wir zuerst im Alluvium und Diluvium, dann geriethen wir in den Trias- Kalk und hier stecken wir schon zwischen Grauwacke,
Gneis und kristallinischen Schiefern. In letzterem Gesteine setzen wir die Fahrt nach Lend fort, wo sich das Gasteiner Thal öffnet —- gleichfalls zunächst in einem schmalen Felsspalt, ans welchem ein Wasserfall gerade gegen den Schienenweg hervorbricht. Er wird herkömmlich von den Waggonfenstern aus mit Ah! begrüßt. Für nicht wenige „Hoch- gebirgsreisende" ist dies der einzige Wasserfall, den sie überhaupt zu sehen bekommen, denn Locomotiven- rauch und Stürze des Gletscherwassers passen nicht gilt zusammen.
Für mich als Person bringe ich, während ich dies niederschreibe, eine Elegie auf die längst vergangenen Tage an, in welchen ich zu Lend saß und Monate lang in den Pausen meiner Arbeit auf die üppigen Auen hinaussah, zwischen welchen die Wellen der Salzach gingen. Kein Mensch dachte an eine Eisenbahn. Wie schön war das wilde Dickicht am linken Ufer! Jetzt ist der Hang eine kahle Böschung und — doch was kümmert das Alles den Leser?
Unser Künstler hat sich, wie es scheint, den Schienenweg als den Faden eines Rosenkranzes vorgestellt, an welchen die Schaustücke, die er abbildet, die Kugeln sind. Einer solchen Hauptkngel begegnen wir stromaufwärts bald jenseits Lend, wenn der Zug unmittelbar vor einem Tunnel hält. Daneben befindet sich die Haltestelle: Rauris-Kitzloch.
Das Kitzloch ist eine Klamm, die sich hier unmittelbar neben dem Schienenwege öffnet. Mancher glaubt, hinlänglich den weisenden Sternen seines Reisehandbuches gehorsam gewesen zu sein, wenn er den Liechtenstein-Klammen die vorgeschriebenen Paar Stunden „geopfert" hat. Er befindet sich im Jrrthume. Dieser Schlund, Kitzloch, durch welchen, wie dort die Wasser des Thales Großarl, so hier die von Ranris zum Hauptstrom Vorbrechen, erheischt gebieterisch einen Besuch. Es ist etwas ganz Anderes.
Parthie aus der Kitzloch-Klamm.
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