Heft 
(1.1.2019) 06
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Heinrich Noä. Line Fahrt auf der Giselabahn.

Die Hochthäler der Tauern muß man sich als Becken vorstellen, welche nach der Glacial-Zeit, also in der Diluvial-Periode, mit Wasser angefüllt waren. Dieses Wasser fand seinen Abfluß über den tren­nenden Bergwall hinweg nach dem viel tiefer ge­legenen Hauptthal der Salzach. Das abfließende Wasser aber, welches schließlich des Höhenunter­schiedes wegen einen die Salzach unmittelbar tref­fenden Sturz bildete, rieb seine Unterlage auf. Die Wasserfälle sägten sich zurück, wie überall. Das ist die Ursache der Klammenbildung.

Bei einigen dieser Tauernthäler, die sämmtlich im rechten Winkel aus die Salzach münden, ist diese Zurücksägnng weit rückwärts in das Thal hinein gediehen, bei anderen ist sie bis auf den heutigen Tag nahe am Hauptstoß stehen geblieben.

Das Thal Rauris gehört zu denjenigen, in welche das stürzende Was­ser mit seiner nach rückwärts schreitenden Aufhebung des Niveauunter­schiedes schon ziemlich weit hinein gegrif­fen hat. So ist also das Kitz­loch ein Cor- ridor, bis zu dessen Ausgang

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man vom Be­ginn der dnrch- sägten Felsen Blick m's

an weiter zu

gehen hat als in den Liechtenstein-Klammen, wenn man zu dem nothwendigen Finale, dem Wasserfall, gelangen will.

Ein Maler wird mit diesem Corridor mehr an­zufangen wissen als mit dem unheimlichen Schlund von Großarl. Wirkt der letztere auch, um ein modernes Wort zu gebrauchen, sensationeller, so wird man der Mündung des Thales Rauris den Preis der Mannigfaltigkeit lassen müssen. Auch hier giebt es einen Tunnel und eineBrücke, welche stäubet", die sogenannte Schreckbrücke. Aber dazu sind weite Kessel, bunter Pflanzenwuchs, viel­fältige Wasserspiele beigegeben. Noch einen prak­tischen Rath füge ich hinzu. Die beiden Schänken am Zusammenflüsse der Rauris mit der Salzach, die eine an der Schwelle der Schlucht zwischen den beiden Wassern von einem Felsen überragt, die andere weiter oben am Hang, lassen guten rothen

Etschländer fließen, der auf das viele graue Eis­wasser nicht verachtet werden soll.

Das Kitzloch ist nicht ein bloßes Schaustück für die Sommergäste. Durch dasselbe führt zugleich der Weg in das wundersame Hochthal Rauris. Auch die Golderze vomKolben" hinten am Gold­berg, den ewiges Eis bedeckt, werden hier in Leder­säcken durchgeschleift. Wer ins Thal Rauris kommt, der begrüße es mit Andacht. Wenn die Leute wüßten, wie einsam und schön sichs im Sommer in dem alten Marktflecken lebt nur einmal die weißen Häupter im südlichen Halbrund gesehen hat, der kommt wieder. Das Wasser, das tobt, der Hohen Aar, der Sonnblick, der Goldbergtauern, die stillen Menschen werden ihn einladen. Man komme schon in den nächsten Jahren, denn

späterhin droht elektrische Be­leuchtung, und was dazu ge­hört, dem Kitz­loch und seinen Fällen.

Das nächste Parallel-Thal von Rauris, die Fusch genannt, dessen Oesfnnng inan bei der Station Brnck- Fnsch erreicht, hat meine Em­pfehlung längst nicht mehr- th ig. Dort oben, 1230 Meter

Fnscherthnl. über dem Meer,

ist ein hoch­berühmtes Kaltbad, dasFnscher-Bad" genannt. Kühle Luft weht und hinten ragen die Gletscher. Im Vordergrund aber machen sich, auf Brettern an Bäume angenagelt, mit hebräischer Zudringlichkeit Verse des Wiener Poeten Frankl bemerkbar. Sic sollen Stimmung machen für den tiefen Thalgrnnd und ; die lichten, silbernen Höhen. Der Bärenwirth,

! die Ferleiten, das Heiligenblnter Hochthor und die j Pfanndlschatre haben längst guten Klang in den Ueberlieferungen unter Alpenwanderern. Noch mehr aber bieten die alten Gold-Sagen und die Mär­chen von den gespenstigen Gestalten der Berge.

Die Bahn kümmert sich um all' das nicht. Sie geht den niedrigsten Ausweitungen nach, folgt den Rinnsalen, die nach dem Gesetz der Schwere das Gleiche thnn und strebt der Lichtung zu, die durch das Becken des Zeller-Sees sich mit einem Mal hinter den Engpässen des Gebirges aufthut.