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„Welches Glück für mich, meine gnädigste Frau," begann Gordon in seinem spitzesten Tone: „Sie schon heut und an dieser Stelle begrüßen zu dürfen. Ich hatte vor, mich Ihnen morgen im Lanse des Tages zu präsentiren. Aber es trifft sich günstiger für mich. Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen?"
Cscile zitterte vor Erregung und fand in dem Krampf, der ihr die Sprache zn rauben drohte, nichts als die mit höchster Anstrengung gesprochenen Worte: „Die Herren kennen einander? Geheimrath Hedemeyer, . . . Herr v. Gordon."
„Hatte bereits die Ehre," sagte Gordon, während er sich auf eiuem der freigewordenen Plätze niederließ. Gleich danach aber, sich legdre auf eiue Seitenlehne stützend, fuhr er im Tone forcir- ter guter Laune fort: „Ein volles Haus, meine
Gnädigste, jedenfalls voller als man bei einer Oper glauben sollte, die nun schon dreißig Jahre spielt und Jeder auswendig kennt. Es muß der Stofs sein oder die glänzende Besetzung. Ich ver- luuthe Niemann. Er ist doch der geborene Tannhäuser und kein anderer reicht da heran. Wenigstens nicht aus der Bühne. Für mich find es Auffrischungen aus Tagen her, in denen ich noch des Vorzugs genoß, mit der silbernen Gardelitze, deren sich, einigermaßen überraschlich, auch das Regiment »Eisenbahn« erfreut, hier sitzen zu dürfen, halb als Kunst-Enthusiast, halb als militärisches Hans-Ornament. Uebrigens empfang' ich den Eindruck, als ob Kamerad Hülsen immer noch seine Gnadensonne über Gerechte und Ungerechte scheinen lasse. Sehen Sie da drüben, meine Gnädigste! Die reine Usvss sn nmWs, wie gewöhnlich mit Regiment Alexander an der Tote."
Cscile hörte den spöttischen Ton nur halb heraus, desto deutlicher der Geheimrath, der deun auch, um den draußen in der Welt von »Europens über- tüuchter Höflichkeit« freigewordenen »Canadier« zu markiren, mit der ihm eigenen Ironie replicirte: „Sie waren nur sieben Jahre fort, Herr von Gordon? Ich dachte länger."
Gordon, der den Werth einer gelungen mali- ciösen Bemerkung auch dann noch zu schätzen wußte, wenn sich die Spitze derselben gegen ihn selber richtete, fand sich momentan in eiue leichte gute Stimmung zurück und antwortete: „Zu dienen,
mein Herr Geheimrath; leider nur sieben Jahre, weshalb ich vorhabe, die Zahl baldmöglichst zu verdoppeln und zwar um meiner weiteren Ausbildung willen. Natürlich Charakterausbildung. Glückt es, so Hofs' ich einen richtigen Naturmenschen zu erzielen, an dem nichts Falsches ist, auch nicht einmal äußerlich. Aber ich sehe die Loge fängt an, ihre früheren Insassen wieder auszunehmen und mich an Rückzug zu mahnen. Ich darf mich doch
der gnädigen Frau recht bald in Ihrer Wohnung Porstellen?"
„Zu jeder Zeit, Herr von Gordon," sagte Cs- cile. „Lassen Sie mich nicht länger warten, als Ihre geschäftlichen Obliegenheiten es fordern. Ich bin so begierig von Ihnen zu hören."
All' das wurd' in Hast und Verlegenheit gesprochen und sie wußte kaum, was sie sagte. Gordon aber empfahl sich und ging in seine Loge zurück.
In dieser angekommen, gab er sich das Ansehen, als ob er dem zweiten Act mit ganz besonderem Interesse folge und wirklich nahm ihn der Wartburg-Saal und das Erscheinen der Sänger eine Weile gefangen. Aber nicht auf lang, und als er wieder hinüber sah, sah er, daß Cscile die Loge verließ und der Geheimrath ihr folgte.
Das war mehr, als er tragen konnte; tollste Bilder schossen in ihm auf und jagten sich und ein Schwindel ergriff ihn. Als er es mühsam überwunden, sah er nach der Uhr. „Halb neun. Spät, aber nicht zu spät. Uud sie sagte ja: »zu jeder Zeit willkommen«."
Und damit erhob er sich, um dem flüchtigen Paare zu folgen. Fand er sie, schlimm genug, faud er sie nicht . . . Er mocht' es nicht ausdenken.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
„Ah, Herr von Gordon" sagte die Jungfer, als der zu so später Stunde noch Vorsprechende mit aller Kraft (vielleicht um sein schlechtes Gewissen zu betäuben) die Klingel gezogen hatte.
„Treff' ich die gnädige Frau?"
„Ja. Sie war im Theater, ist aber eben zurück. Die Herrschaften werden sehr erfreut sein."
„Auch der Herr Oberst zugegen?"
„Nein, der Herr Geheimrath."
Gordon wurde gemeldet und ehe noch die Antwort da war, daß er willkommen sei, trat er bereits ein.
Cscile und der Geheimrath waren gleichmäßig frappirt und das spöttische Lächeln des Letzter» schien ailsdrücken zu wollen: „Etwas stark."
Gordon sah es sehr wohl, ging aber drüber hin und sagte, während er Cscile die Hand küßte: „Verzeihung, meine gnädige Frau, daß ich von Ihrer Erlaubniß einen so schnellen Gebrauch mache. Aber offen gestanden, im selben Augenblicke, wo Sie die Loge verließen, war mein Interesse hin und nur noch der Wunsch lebendig, den Abend an Ihrer Seite verplaudern zu dürfen. Als Antritts-Visite keine ganz passende Zeit. Indessen Ihr freundliches Wort . . . Und so verzeihen Sie denn die späte Stunde."
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