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Theodor Fontane.
Cacile hatte sich inzwischen gesammelt und sagte mit einer Ruhe, die deutlich zeigte, daß ihr unter diesem unerhörten Benehmen ihr Selbstbewußtsein zurückznkehren beginne: „Lassen Sie mich Ihnen wiederholen, Herr von Gordon, daß Sie zu jeder Zeit willkommen sind. Und die späte Stunde, von der Sie sprechen. . . . Nun, ich entsinne mich eines Planderabends mit dem Hofprediger, wo Sie später kamen. Auch aus dem Theater. Es war ein Don Juan-Abend und Sie hatten den Schluß abgewartet."
„Ganz recht, meine gnädigste Frau. Man will immer gern wissen, was ans dem Don Juan wird."
„Und aus dem Masetto" setzte Hedemeyer hinzu, während er sich von dem Fauteuil, aus dem er eben erst Platz genommen hatte, wieder erhob.
„Aber Sie wollen doch nicht schon aufbrechen, mein lieber Geheimrath", unterbrach ihn Cocile, der in diesem Augenblick ihre ganze Verlegenheit zurückkehrte. „Schon jetzt, schon vor dem Thee. Nein, das dürfen Sie mir nicht anthnn und Herrn von Gordon nicht, der ein gutes Gespräch liebt. Und was hat er an dem, was ich ihm sage. Nein, nein, Sie müssen bleiben." Und sie zog die Glocke.
. . . „Den Thee, Marie. . . . Hören Sie doch, lieber Freund, wie draußen der Regen fällt. Ich erwarte noch den Hofprediger; er hat es mir zn- gesagt. Noch einmal also, Sie bleiben."
Aber der Geheimrath war unerbittlich und sagte: „Meine gnädigste Frau, der Club und die L'hombre- partie warten auf mich. Und wenn es auch anders läge, man soll nie vergessen, daß man nicht allein ans der Welt ist. Es wär' ein Unrecht, Herrn von Gordon so benachtheiligen zu wollen. Er hat viele Wochen hindurch Ihrer Unterhaltung entbehren müssen und Sie der seinigen; mm bringt er Ihnen eine Welt von Neuigkeiten und ich bin nicht indiscret genug, bei diesen Mittheilungen stören zu wollen. Wenn Sie gestatten, sprech' ich morgen wieder vor. Vorläufig darf ich vielleicht dem Herrn Obersten einen herzlichen Empfehl bringen. Auch von Ihnen, Herr von Gordon?"
Gordon begnügte sich damit, sich kalt und förmlich gegen den Geheimrath zu verneigen, der, inzwischen an Emile herangetreten, ihre Hand an seine Lippen führte. „Wie gerne wär' ich geblieben. Aber es ist gegen meine Grundsätze. Nennen Sie mir nicht den Hosprediger; Hosprediger stören nie. Wer berufsmäßig Beichte hört, steht über der Indiskretion. Uebrigens ist er noch nicht da. Bis morgen also, bis morgen." Und er ging. Im selben Augenblicke brachte Marie den Thee. Sie wollte den Tisch arrangiren, aber Cseile, die das, was in ihr vorging, nicht länger zurückdümmen konnte, sagte: „Lassen Sie, Marie" und wandte sich dann rasch und mit vor Erregung und fast vor
Zorn zitternder Stimme gegen Gordon. „Ich bin indignirt über Sie, Herr von Gordon. Was bezwecken Sie? Was haben Sie vor?"
„Und Sie fragen?"
„Ja, noch einmal: was haben Sie vor? was bezwecken Sie? Sprechen Sie mir nicht von Ihrer Neigung. Eine Neigung äußert sich nicht in solchem Affront. Und in welchem Lichte müssen Sie dem Geheimrath erschienen sein."
„Jedenfalls in keinem zweifelhafteren, als er mir. Lassen Sie das meine Sorge sein."
„Aber in welchem Lichte lassen Sie mich vor ihm erscheinen. Und Sie begreifen, mein Herr von Gordon, daß das meine Sorge ist. Ich habe Sie für einen Cavalier genommen, oder, da Sie das Englische so lieben, für einen Gentleman und sehe nun, daß ich mich schwer und bitter in Ihnen getäuscht habe. Schon Ihr Besuch in der Loge war eine Beleidigung; nicht Ihr Erscheinen an sich, aber der Ton, der Ihnen beliebte, die Blicke, die Sie für gut fanden. Ich habe Sie verwöhnt und mein Herz vor Ihnen ausgeschüttet, ich habe mich angeklagt und erniedrigt, aber anstatt mich hochherzig anfzurichten, scheinen Sie zu fordern, daß ich immer kleiner vor Ihrer Größe werde. Meiner Tugenden sind nicht viele, Gott sei's geklagt, aber eine darf ich mir unter Ihrer eigenen Zustimmung vielleicht zuschreiben, und nun zwingen Sie mich, dies Einzige was ich habe, mein bischen Demnth in Hochmuts) und Prahlerei zu Verkehren. Aber Sie lassen mir keine Wahl. Und so hören Sie denn, ich bin nicht schutzlos. Ich beschwöre Sie, zwingen Sie mich nicht, diesen Schutz anznrnfen, es wäre Ihr und mein Verderben. Und nun sagen Sie, was soll werden? Wo steckt Ihr Titel für all dies? Was hall ich gefehlt, um dieses Aeußerste zu verdienen? Erklären Sie sich."
„Erklären, Cocile! Das Räthsel ist leicht gelöst: ich bin eifersüchtig."
„Eifersüchtig. Und das sprechen Sie so hin, wie wenn Eifersucht Ihr gutes und verbrieftes Recht wäre, wie wenn es Ihnen zustünde, mein Thun zu bestimmen und meine Schritte zu eontrol- liren. Haben Sie dies Recht? Sie haben es nicht. Aber wenn Sie's hätten, eine vornehme Gesinnung verleugnet sich auch in der Eifersucht nicht, ich weiß das, ich habe davon erfahren. Sie konnten Schlimmeres thun, als Sie gethan haben, aber nichts Kleineres und nichts Unwürdigeres."
„Nichts Unwürdigeres! Und was ist es denn, was ich gethan habe? Was sich erklärt, ist auch verzeihlich. Cöcile, Sie sind strenger gegen mich, als Sie sollten; haben Sie Mitleid mit mir. Sie wissen, wie's mit mir steht, wie's mit mir stand vom ersten Augenblick an. Aber ich bezwang mich. Dann kam der Tag, an dem ich Ihnen alles