Aus dem Bilde des gesellschaftlichen Lebens verschwanden die Salons, in denen man bei Tee und Butterbrot noch mit Geist und Kenntnissen zu plaudern verstanden hatte, aus dem Theater die Lokalpossen, die mit David Kalisch zu Grabe gingen, aus den Wohnungen der schmucklose, aber handwerklich solide Hausrat, von den Wänden die bescheidenen Lithographien und Stahlstiche. Ein neuer Lebensstil mit geschichtlich weit gespannten Ansprüchen und Anciennitäten trat auf und verschaffte sich schnell Geltung. Er war weder berlinisch noch preußisch, sondern großdeutsch. Die deutsche Renaissance und das „stilechte" Kunstgewerbe beherrschten den Geschmack, hielten ihren Einzug in die Wohnräume und machten sich bis in die Damenmode geltend.
Der neuen Bewegung erwuchs am preußischen Königshofe die mächtigste Förderung durch das Beispiel der kronprinzlichen Herrschaften. Namentlich die Kronprinzessin, später Kaiserin Friedrich, stellte sich mit ihren aus ihrer englischen Heimat herübergebrachten Ideen kunstindustrieller Ausweitung an die Spitze. Sie schuf in dem Kunstgewerbemuseum, das damals den Gropius und Schmiedenschen Neubau in der Prinz Albrechtstraße bezog, einen weithin wirkenden Sammelplatz und Mittelpunkt, nachdem kurz vorher 1879 die Gewerbeausstellung am Lehrter Bahnhof die Leistungsfähigkeit und den Geschmackswandel der deutschen Industrie erwiesen hatte.
Die der Kronprinzessin nahestehenden Künstler, wie Anton v. Werner, Paul Meyerheim, Albert Hertel u. a., gaben für die bürgerlichen Kreise den Ton an, und ihre Ateliers, Salons und Wohnräume wurden die Vorbilder, die der wohlhabende Bürger mit mehr oder weniger Geschick nachzuahmen bestrebt war. Auch die elterliche Wohnung modelte sich damals nach den Forderungen des neuen Geschmacks um. Was der Kunsttischler mit seinen schweren geschnitzten Nußbaum- und Eichenmöbeln ausgestattet, der Tapezierer mit seinen üppigen Draperien dekoriert hatte, wurde nun noch von dem kunstgewerblichen Fleiß der Hausfrau im einzelnen ergänzt. Majolikateller und Fliesen schmückten die Wände und die Bordbretter,
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