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Häuser und Menschen im alten Berlin / von Hans Mackowsky
Entstehung
Seite
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mittel griff, die sentimental und kokett war und stattmit vollen Zügen aus der goldenen Schale des Lebens zu trinken, Kamillen- oder Fliedertee aus großen, gvldgeränderten Tassen schlürfte." Diese Menschen dachten gar nicht daran, in ihrer Lebenshaltung, mit ihren Sitten, Gewohnheiten, Gebrauchen wie in einem starken Selbstbesinnen zu dem Lebensstil der Großväterzeit zurückzukehren, so wenig, wie sie in der Beseelung des Stoffes den Geist der alten Zeit spürten mit seinem sittlichen Ernst, es so gut wie möglich zu machen. Man spielte Komödie mit einem veränderten Bühnen­bild. Man schwärmte für das Alte und duldete seelenruhig, daß die Spitz­hacke die Zeugen der alten Zeit, einen nach dem andern, forträumte aus dem Bilde der Stadt. Was damals niedergelegt wurde, denBedürf­nissen der Großstadt" ohne Bedenken zum Opfer fiel, riß unbeschreibliche Lücken, und weder Pietät noch der Nimbus eines großen Namens geboten Einhalt. Um 1900 ist das alte Berlin gestorben, und an seine Stelle trat die physiognomielose Weltstadt, wie man sie überall findet.

In diesen Jahren wurde ich in meiner Vaterstadt wieder seßhaft. Aus Italien heimkehrend, wo ich zum zweitenmal mehrere Jahre zugebracht hatte, fand ich mehr als nur das äußere Bild Berlins verändert, ja entstellt. Auch der Geist der Stadt schien sich von Grund aus gewandelt zu haben in einer jener Metamorphosen, die ebensosehr für die Beweglichkeit wie für eine anpassungsfähige Charakterlosigkeit der Individuen zeugen. Der vollständige Bruch mit der Tradition war vollzogen. Erinnerungslos war das Riesengebilde zu einer unübersichtlichen, verschwommenen Form über sich selbst hinausgewachsen. Das glücklose Schicksal dieser Stadt, das ein späterer Beobachter kaltherzig formuliert hat: immer zu werden und nie­mals zu sein, hatte sich erfüllt.

Aber auch an mir selbst hatte ich den alten Satz erfahren, daß erst die Fremde lehrt, was wir an der Heimat besitzen. In Italien über den alten Urkunden so gut wie vor den Kunstwerken war mir das heillos Fragmen­tarische dieser versunkenen Welt zum Bewußtsein gekommen. Unbefriedigten