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Häuser und Menschen im alten Berlin / von Hans Mackowsky
Entstehung
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und so blieb Rahel mit der Mutter schließlich allein. Doch kamen die Frauen je länger um so weniger miteinander aus. Nicht etwa, daß Chaiche Levin keine gütige Mutter gewesen wäre; nicht als ob Rahel es an Kindes­liebe hätte fehlen lassen: in diesen Frauen standen wie zwei Menschenalter so auch zwei Weltanschauungen verständnislos sich gegenüber. Die Mutter, still und gedrückt neben dem impulsiven, oft tyrannischen Vater, ihr Leben auszehrend in den Sorgen des Alltags und der Wirtschaft; die Tochter, geistig höchst angeregt, durchaus nicht emanzipiert unwirtschaftlich, aber doch niemals versunken im Prosaischen des Lebens, dazu leidenschaftlich mit sich selbst beschäftigt, an der eigenen inneren Befreiung rastlos arbeitend, wie sollte da die Entfremdung ausbleiben?Ich bitte dich, lasse die Welt aus ihre Fugen, du kriegst sie nicht wieder rein" - das war der trostlose Refrain, den Rahel, so oft sie Vertrauen brachte und Verständnis suchte, immer zu hören bekam. Und wie oft mag die Alte, wenn sie das Kämpfen und Ringen der Tochter sah, ihre innere Unruhe nur als Störung der eigenen Resignation empfindend, mit Fromet Mendelssohn, der Frau des Philosophen, geseufzt haben:Wie mies ist mir vor tout l'univers!"

So kam es denn 1808 zur Trennung, und zwar war es die Mutter, die den Platz räumte, um bis zu ihrem Tode im Oktober 1809 die Tage zuzubringenin einem düstern, ruppigen, unbequemen ckez-elle, ohne Ge­sellschaft, ohne Genuß, ganz das bißchen Glanz und Wohlhabenheit weg, im erbarmungswürdigsten Geiz, fast allein existierend." Rahel, die das teure Quartier allein nicht halten konnte, zog nach der Charlottenstraße 22 in das Trenksche Haus, das sie schon nach zwei Jahren mit einer sehr be­scheidenen Wohnung in der Behrenstraße 48 vertauschte. Denn inzwischen hatten sich auch ihre äußeren Verhältnisse verschlechtert, und die Brüder sahen sich geschäftlich genötigt, die jährliche Rente der Schwester um ein Drittel zu kürzen. Die Hebel ihrer geistigen Existenz, Musik, Theater und die Hauptsache! häusliche Geselligkeit waren ausgeschaltet; was sie nie gekannt hatte, geistiges Darben, äußeres Beschränktsein, mußte sie

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