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Häuser und Menschen im alten Berlin / von Hans Mackowsky
Entstehung
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Für die nächsten Jahre, bis 1827, schlugen Varnhagens ihr Quartier Französische Straße 20, Ecke der Friedrichstraße, auf. Von dem Geräusch und Getriebe, das heute diese lärmvollste Gegend umbraust, war damals auch nicht der leiseste Vorklang zu spüren. Aber sei es, daß die Wohnung, so bequem sie gelegen war, doch nicht den Wünschen Rahels entsprach, die mit den Annehmlichkeiten der Stadt zugleich wenigstens die Ahnung eines ländlichen stillen Zufluchtsortes beanspruchte, sei es, daß eine bessere Gelegen­heit sie lockte: 1827 finden wir sie im ersten Stock der Mauerstraße 36 hinter jener vornehmen zopfigen Fassade mit dem Blick die lange Französische Straße hinunter. Über diese Wohnung sind wir durch Rahel selbst und durch einen ungenannten Besucher, dessen Erinnerungen aus dem März 1830 Varnhagen veröffentlicht hat, eingehender als über alle ihre früheren unterrichtet.

Varnhagen, der die Kunst des Scherenschnittes eigentlich eine weib­liche Liebhaberei bis zur Virtuosität ausübte, hat auch den Grundriß dieser Wohnung zierlich in grünem Glanzpapier ausgeschnitten. Das Blättchen liegt noch in seinem Nachlaß auf der Berliner Staatsbibliothek. Varnhagens bewohnten die rechte Hälfte des ersten Stocks. Das Zimmer mit dem Fenster zwischen den Säulen desPavillons" war Rahels Schlafgemach; dort stand auch ihr Schreibtisch. Durch einen schmalen Gang war es nach rückwärts mit dem Hofzimmer der treuen Dore ver­bunden. In der Frontreihe schloß sich mit zwei Fenstern das Besuchs­zimmer an, dann folgte, ebenfalls zweifenstrig, Varnhagens Wohn- und Schlafraum. Nach Hof und Garten gingen die Fenster der Bibliothek, an die als letzter der sechs Räume das sog. blaue Zimmer stieß.

Schon über die fünfzig hinaus und immer abhängiger von ihrem kränk­lichen Körper, sah sich Rahel mehr und mehr auf das Haus angewiesen. Wie wohl taten sie ihr, diese hellblauen Zimmer, geräumig und besonders hoch, von den großen Fenstern immer gut durchlüftet, ohne einengendes Gegenüber mit dem Blick die gerade Straße hinunter. Und wenn sie da

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