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Häuser und Menschen im alten Berlin / von Hans Mackowsky
Entstehung
Seite
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von 9 Uhr an bis nach Mitternacht an Tafel Stich hielt".Das Musik­wesen", schreibt Zelter ein andermal an Goethe,drängt sich hier wie die Krebse im Kessel; alles schilt und lästert darüber und keiner kann genug kriegen, sie laufen immer wieder hin und kommen zurück wie sie waren." Der fröhlich alternde Zelter wußte, welchen Spaß er Goethe mit seinem Poltertvne machte, und zu ernst darf man ihn deshalb nicht nehmen. An­erkennender lautet das Zeugnis, das derNeueste Wegweiser durch Berlin, Potsdam und Charlottenburg" vom Jahre 1828 den Berliner Musik­enthusiasten ausstellt:Unsere Dilettanten sind durch den Ernst, mit welchem hier die Musik betrieben wird, gezwungen, es ebenfalls in allem Ernste zu nehmen, und so hört man hier in Gesellschaft Opern und Oratorien, deren Ausführung der großen Oper zu schwierig sein würde. Bei solchen musi­kalischen Festen findet man gewöhnlich die ersten Sänger von dem König­lichen und Königstädtischen Theater, welche hier in die gute Gesellschaft ausgenommen sind."

Das glänzendste Beispiel einer solchen gesellschaftlichen Aufnahme und Verwöhnung, die schon an Vergötterung grenzte, bietet Henriette Sontag. Der geschäftskluge, im übrigen aber ganz ungebildete Cers hatte sie für sein Theater auf der Königsstadt verpflichtet, und allabendlich drängten sich die Kutschen vor dem Portal auf dem Alexanderplatz. Dabei war das Rollenfach der Sontag auf die Naive und die Liebhaberin beschränkt, und die Catalani hatte wohl recht, wenn sie sagte:elle est la première dans s on genre, mais son genre n'est pas le premier". Ihr ungemeiner Erfolg lag in ihrer Persönlichkeit; sie traf genau das, was man damals wollte, als Künst­lerin wie als Mensch.Überall",klagt Rahel ihrem Freunde Gans,ist das Große und Erhabene geschwunden, das Mäßige, Anmutige, ist an die Stelle getreten; unsere Gesellschaftswelt mag nicht erschüttert, nicht fortgerissen werden, sie will geschmeichelt, geliebkost sein, die Talente sollen uns und unsere vielseitige, aber schwache Bildung ausdrücken, nicht bloß künstlerische Meisterschaft, sondern ein Gemisch von allem, ein artiges Betragen,

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