Heft 
(1957) 10
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liegen die Tuchfabriken, die die Nachfolger der einstigen zahlreichen Wittstocker Tuchmacherfamilien wurden. Audi ihr Glanz ift verblichen. Diese Räume dienen heute anderen gewerblichen Zwecken.

Der Gang durch die Straßen der Innenstadt zeigt kaum noch etwas von der Romantik winkliger und enger Straßen mittelalterlicher Städte. Der große Brand von 1716 vernichtete das alles. Die Straßen sind nun durchweg schnurgerade, neuzeitlich breit und geräumig, und auch auf dem Markt­platz ist nach dem Brande von 1954 das Rathaus im neuen Gewände er­standen.

Das gemeinsame Mittagessen ist auch ein Höhepunkt einer solchen Fahrt. Wenn sich Herz und Augen laben, will der Magen auch was haben. Am Marktplatz ist das HO-HotelDeutsches Haus ein fürsorglicher und viel­seitiger Gastgeber. Besonders unsere Hausfrauen freuen sich, daß sie heute nur zu wählen und zu bestellen brauchen. Ausgeruht und gut gestärkt kann die Entdeckerschar wieder anBord gehen. Der umsichtige und stets zu­vorkommende Fahrer vom Kraftverkehr Wittenberge steuert in seinem Bus sich und die ihm anvertraute muntere Schar zum Tor hinaus.

Links liegen die Gebäude des geräumigen Siechenheims, rechts ein paar neu­erstandene Wohnblocks, und dann kommen, unmittelbar an die Chaussee heranrückend, die hier noch steileren Hänge der Scharfenberge. Hart an der Straße sehen wir den alten Scharfenberger Krug. Ein Fahrtteilnehmer Will wissen, daß der Generalfeldmarschall Baner kurz vor der Schlacht und bevor er sich unter die dafür vorgesehene historische Schwedenpappel stellte, hier noch einen Schnaps getrunken habe.

Auf dem Hochufer am Kattenstieg-See ist kurze Rast. Hier beginnt die Senke mit der Seenkette, die bis nach Wusterhausen hinunterreicht. Christdorf und Herzsprung liegen am Anfang dieser Senke. Wie die beiden Dörfer entstanden, erzählen uns herzbewegende und traurige Geschichten, die sich um die Liebe drehen. In der Pestzeit des Mittelalters entschlossen sich oft viele Menschen, aus den engen Mauern der Städte zu entfliehen, um so der I^est zu entrinnen. Sich kasteiend, zogen sie, besonders um 1348, als derSchwarze Tod sich unzählige Opfer holte, als sogenannte Geißel­brüder oder Flagellanten singend und betend durch das Land. Ein solcher Trupp, von Wittstock kommend, hatte als Anführer ein junges Menschen­paar, das sich in großer Liebe zugetan war. Wo heute Christdorf steht, holte der Pesttod sie ein. Der überlebende Rest blieb an den Gräbern des dahingerafften jungen Paares. Das daneben liegende Dörfchen Herzsprung verdankt seine Entstehung einem ähnlichen tragischen Geschick. Auf dem Hügel, auf dem heute das Dorfkirchlein steht, schaute eine Jungfrau voll Sehnsucht nach ihrem Liebsten aus, der in der Ferne weilte. Als ihr dort die Nachricht von seinem Tode kam, sprang ihr das Herz.Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu, und wem sie just passieret, dem brichts das Herz entzwei. Anders aber war es in der alten Kattenstieg-

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