walder Försters war anderer Meinung. Wütend, die Haare gesträubt und die Zähne fletschend, ging er auf das schwarze Ungetüm los. Der Förster fürchtete, sein Hund, der auf den Namen „Polio“ hörte, könnte bei diesem Zweikampf den kürzeren ziehen, darum rief er ihn mit aller Stimmgewalt zurück: „Polio — Polio — Polio!“ Drüben am Waldrand antwortete das Echo: „Polio — Polio — Polio“. Die Schulkinder, die mit ihrem I.ehrer nahe dabei standen, sahen und hörten das und riefen nun auch alle aus Leibeskräften „Polio — Polio!“ Der vielstimmige Ruf pflanzte sich fort, und der Landrat der Westprignitz sagte zum Landrat der Ostprignitz: „Hören Sie nur, Herr'" Kollege, der Name für unsere Bahn ist vom Volke schon gefunden“. Beim Festessen sagte dann der Landrat der Ostprignitz zum Landrat der Westprignitz: „Herr Kollege, lassen sie uns anstoßen auf unseren ,Polio 1 !“ Sie taten’s, und damit war der Taufakt nun endgültig besiegelt. Der Name „Polio“ hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Die Prig- nitzer fahren nicht mit der Eisenbahn in die Stadt, sondern einzig und allein mit dem „Polio“. Mein Freund hat mir vor Jahren diese Geschichte mit einem so ehrlichen Gesicht erzählt, daß ich nicht wage, daran zu zweifeln. Trotzdem möchte ich sie nicht als „historische Wahrheit“ wiedergeben.
Unterdessen hat der Fahrdienstleiter das Abfahrsignal gegeben. Schon ist die erste Krümmung und die erste Steigung überwunden, und ehe wir uns recht versehen, haben wir schon die Abzweigweiche hinter Rehfeld erreicht. Hier zweigt die fl Kilometer lange Strecke ab, die über Berlitt und Barenthin nach Breddin führt und dort Anschluß an die Reichsbahnstrecke Wittenberge—Berlin hat. Barenthin ist übrigens eines der wenigen Dörfer, die sich rühmen können, eine Straßertbahn zu besitzen. Hier führt die Strecke die ganze Dorfstraße entlang, und weil zwei Bahnhöfe innerhalb der Ortschaft vorhanden sind, kann man fast von einer Straßenbahn sprechen. Ein Spaßvogel sang: „Barenthin ein schöner Ort, eine Straßenbahn gibt’s dort, und man kann seit 60 Jahren von einem Lokal ins andere fahren.“ Nun darfst du, lieber Freund, aber nicht glauben, daß der früher oft gebräuchliche Name „Lokalbahn“ etwas mit den vielen Lokalen zu tun hat, an denen wir bei unserer Fahrt vorüberkommen. Die Bezeichnung Lokalbahn weist darauf hin, daß die betreffende Bahn nur für einen kleineren Bezirk von Bedeutung ist. In unserem Fall für den südlichen Teil unserer Prignitz.
Durch Wiesen und Felder, durch grüne Wälder und an schmucken Dörfern vorbei geht unsere Fahrt weiter. Demerthin, Gumtow, Bärensprung und Dannenwalde sind die Stationen, auf denen unser Polio hält. Passagiere steigen ein und aus. Güterwagen werden abgestellt oder eingestellt. Vor und hinter Dannenwalde tritt der herrliche Mischwald, Kiefern, Tannen und Buchen, so nahe an das Gleis heran, daß wir den Eindruck haben, als
307