Frau Jenny Treibel.
325
hat uns aufs Aeußerste mißfallen. Alles in seinem Programm ist gemeingefährlich. Aber was wir am meisten beklagen, ist das, daß er nicht für sich und in seinem Namen sprach, sondern im Namen eines unserer geachtetsten Berliner Industriellen, des Commerzienraths Treibel (Berliner-Blaufabrik, Köpnickerstraße), von dem wir uns eines Besseren versehen hätten. Ein neuer Beweis dafür, daß man ein guter Mensch und doch ein schlechter Musikant sein kann, und desgleichen ein Beweis, wohin der politische Dilettantismus führt."
Treibel klappte das Blatt wieder zusammen, schlug mit der Hand darauf und sagte: „Nun, so viel ist gewiß, in Teupitz-Zossen ist das nicht geschrieben. Das ist Tell's Geschoß. Das kommt aus nächster Nähe. Das ist von dem national-liberalen Oberlehrer, der uns neulich bei Buggenhagen nicht bloß Opposition machte, sondern uns zu verhöhnen suchte. Drang aber nicht durch. Alles in Allem, ich mag ihm nicht Unrecht geben, und jedenfalls gefällt er mir besser als Vogelfang. Außerdem sind sie jetzt bei der „Nationalzeitung" halbe Hofpartei, gehen mit den Frei-konservativen zusammen. Es war eine Dummheit von mir, Mindestens eine Uebereilung, daß ich abschwenkte. Wenn ich gewartet hätte, könnt' ich jetzt, in viel besserer Gesellschaft, aus Seiten der Regierung stehen. Statt dessen bin ich auf den dummen Kerl und Principienreiter eingeschworen. Ich werde mich aber aus der ganzen Geschichte herausziehen und zwar für immer; der Gebrannte scheut das Feuer . . . Eigentlich könnt' ich mich noch beglückwünschen, so mit tausend Mark, oder doch nicht viel mehr, davongekommen zu sein, wenn nur nicht mein Name genannt wäre. Mein Name. Das ist fatal ..." Und dabei schlug er das Blatt wieder auf. „Ich will die Stelle noch einmal lesen: ,einer unserer geachtetsten Berliner Industriellen, der Commerzienrath Treibell — ja, das laß' ich mir gefallen, das klingt gut. Und nun lächerliche Figur von Vogelsang's Gnaden."
Und unter diesen Worten stand er auf, um sich draußen im Garten zu ergehen und in der frischen Luft seinen Aerger nach Möglichkeit los zu werden.
Es schien aber nicht recht glücken zu sollen, denn im selben Augenblick, wo er, um den Giebel des Hauses herum, in den Hintergarten einbog, sah er die Honig, die, wie jeden Morgen, so auch heute wieder das Bologneser Hündchen um das Bassin führte. Treibel prallte zurück, denn nach einer Unterhaltung mit dem aufgesteiften Fräulein stand ihm durchaus nicht der Sinn. Er war aber schon gesehen und begrüßt worden, und da große Höflichkeit und mehr noch große Herzensgüte zu seinen Tugenden zählte, so gab er sich einen Ruck und ging guten Muths auf die Honig zu, zu deren Kenntnissen und Urtheilen er übrigens ein aufrichtiges Vertrauen hegte.
„Sehr erfreut, mein liebes Fräulein, Sie 'mal allein und zu so guter Stunde zu treffen ... Ich habe seit lange so dies und das auf dem Herzen, mit dem ich gern herunter möchte ..."
Die Honig erröthete, weil sie, trotz des guten Rufes, dessen sich Treibel erfreute, doch von einem ängstlich süßen Gefühl überrieselt wurde, dessen äußerste Nichtberechtigung ihr freilich im nächsten Momente schon in beinah grausamer Weise klar werden sollte.