Heft 
(1892) 70
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Do sich Kerz zum Kerzen stnd't".

Roman

von

Theodor Fontane.

Erstes Capitel.

An einem der letzten Maitage, das Wetter war schon sommerlich, bog ein zurückgeschlagener Landauer vom Spittelmarkt her in die Kur- und dann in die Adlerstraße ein und hielt gleich danach vor einem, trotz seiner Front von nur füns Fenstern, ziemlich ansehnlichen, im klebrigen aber altmodischen Hause, dem ein neuer, gelbbrauner Oelfarbenanstrich wohl etwas mehr Sauberkeit, aber keine Spur von gesteigerter Schönheit gegeben hatte, beinahe das Gegentheil- Im Fond des Wagens saßen zwei Damen mit einem Bologneserhündchen, das sich der hell- und warmscheinenden Sonne zu sreuen schien. Die links sitzende Dame von etwa Dreißig, augenscheinlich eine Erzieherin oder Gesellschafterin, öffnete, von ihrem Platz aus, zunächst den Wagenschlag, und War dann der anderen, mit Geschmack und Sorglichkeit gekleideten und trotz ihrer hohen Fünfzig noch sehr gut aussehenden Dame beim Aussteigen behülflich. Gleich danach aber nahm die Gesellschafterin ihren Platz wieder ein, während die ältere Dame auf eine Vor­treppe zuschritt und nach Passirung derselben in den Hausstur eintrat. Von diesem aus stieg sie, so schnell ihre Corpulenz es züließ, eine Holzstiege mit ab- gelausenen Stufen hinauf, unten von sehr wenig Licht, weiter oben aber von einer schweren Luft umgeben, die man füglich als eine Doppellust bezeichnen konnte. Gerade der Stelle gegenüber, wo die Treppe mündete, befand sich eine Enträethür mit Guckloch, und neben diesem ein grünes, knittriges Blechschild, daraufProfessor Wilibald Schmidt" ziemlich undeutlich zu lesen war. Die ein Wenig asthmatische Dame fühlte zunächst das Bedürsniß, sich auszuruhen und musterte bei der Gelegenheit den ihr übrigens von langer Zeit her bekannten Vorstur, der vier gelb gestrichene Wände mit etlichen Haken und Riegeln und dazwischen einen hölzernen Halbmond zum Bürsten und Ausklopsen der Röcke

Deutsche Rundschau. XVIII, 4. 1