Frau Jenny Treibet.
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Und unter diesen Worten erhob sich die Connnerzienräthin und gab Corinna einen Kuß aus die Stirn, während sie Wilibald die Hand reichte. „Mit uns, lieber Professor, bleibt es beim Alten, unentwegt." Und damit verließ sie das Zimmer, von Corinna bis auf den Flur und die Straße begleitet.
„Unentwegt," wiederholte Wilibald, als er allein war. „Herrliches Modewort, und nun auch schon bis in die Villa Treibel gedrungen . . . Eigentlich ist meine Freundin Jenny noch gerade so wie vor vierzig Jahren, wo sie die kastanienbraunen Locken schüttelte. Das Sentimentale liebte sie schon damals, aber doch immer unter Bevorzugung von Courmachen und Schlagsahne. Jetzt ist sie nun rundlich geworden und beinah' gebildet, oder doch, was man so gebildet zu nennen pflegt, und Adolar Krola trägt ihr Arien aus Lohengrin und Tannhäuser vor. Denn ich denke mir, daß das ihre Lieblingsopern sind. Ach, ihre Mutter, die gute Frau Bürstenbinder, die das Püppchen drüben im Apfelsinenladen immer so hübsch herauszuputzen wußte, sie hat in ihrer Weiberklugheit damals ganz richtig gerechnet. Nun ist das Püppchen eine Commerzien- räthin und kann sich Alles gönnen, auch das Ideale, und sogar „unentwegt". Ein Musterstück von einer Bourgeoise."
Und dabei trat er ans Fenster, hob die Jalousien ein wenig und sah, wie Corinna, nachdem die Commerzienräthin ihren Sitz wieder eingenommen hatte, den Wagenschlag ins Schloß warf. Noch ein gegenseitiger Gruß, an dem die Gesellschaftsdame mit sauer-süßer Miene theilnahm, und die Pferde zogen an und trabten langsam auf die nach der Spree hin gelegene Ausfahrt zu, weil es schwer war, in der engen Adlerstraße zu wenden.
Als Corinna wieder oben war, sagte sie: „Du hast doch nichts dagegen, Papa. Ich bin morgen zu Treibel's zu Tisch geladen. Marcell ist auch da, und ein junger Engländer, der sogar Nelson heißt."
„Ich was dagegen? Gott bewahre. Wie könnt' ich was dagegen haben, Wenn ein Mensch sich amüsiren will. Ich nehme an. Du amüsirst Dich."
„Gewiß amüsir' ich mich. Es ist doch 'mal 'was Anderes. Was Distelkamp sagt und Rindfleisch und der kleine Friedeberg, das Weiß ich ja schon Alles auswendig. Aber was Nelson sagen wird, denk' Dir, Nelson, das weiß ich nicht."
„Viel Gescheidtes wird es Wohl nicht sein."
„Das thut nichts. Ich sehne mich manchmal nach Ungescheidtheiten."
„Da hast Du Recht, Corinna."
Zweites Capitel.
Die Treibel'sche Villa lag aus einem großen Grundstücke, das, in bedeutender Tiefe, von der Köpnickerstraße bis an die Spree reichte. Früher hatten hier in unmittelbarer Nähe des Flusses nur Fabrikgebäude gestanden, in denen alljährlich ungezählte Centner von Blutlaugensalz und später, als sich die Fabrik erweiterte, kaum geringere Quantitäten von Berliner Blau hergestellt worden Waren. Als aber nach dem 70er Kriege die Milliarden ins Land kamen und die Gründeranschauunge^ selbst die nüchternsten Köpfe zu beherrschen anfingen, fand auch Commerzienrälh Treibel sein bis dahin in der Alten Jakobstraße ge-