Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

legenes Wohnhaus, trotzdem es von Gontard, ja nachMnigen sogar von Knobels­dorfs herrühren sollte, nicht mehr zeit- und standesgemäß, und baute sich auf seinem Fabrikgrundstück eine modische Villa mit kleinem Vorder- und Parkartigem Hintergarten. Diese Villa war ein Hochparterrebau mit aufgesetztem ersten Stock, welcher letztere jedoch, um seiner niedrigen Fenster willen, eher den Ein­druck eines Mezzanin als einer Bel-Etage machte. Hier wohnte Treibel seit sechzehn Jahren und begriff nicht, daß er es, einem noch dazu bloß gemuthmaßten sridericianischen Baumeister zu Liebe, so lange Zeit hindurch in der unvornehmen und aller frischen Lust entbehrenden Alten Jakobstraße ausgehalten habe; Gefühle, die von seiner Frau Jenny mindestens getheilt wurden. Die Nähe der Fabrik, wenn der Wind ungünstig stand, hatte freilich auch allerlei Mißliches im Geleite; Nordwind aber, der den Qualm Herantrieb, war notorisch selten, und man brauchte ja die Gesellschaften nicht gerade bei Nordwind zu geben. Außerdem ließ Treibel die Fabrikschornsteine mit jedem Jahre höher hinaufführen und be­seitigte damit den anfänglichen Uebelstand immer mehr.

Das Diner war zu sechs Uhr festgesetzt; aber bereits eine Stunde vorher sah man Huster'sche Wagen mit runden und viereckigen Körben vor dem Gitter­eingange halten. Die Commerzienräthin, schon in voller Toilette, beobachtete von dem Fenster ihres Boudoirs aus all' diese Vorbereitungen und nahm auch heute wieder, und zwar nicht ohne eine gewisse Berechtigung, Anstoß daran. Daß Treibel es auch versäumen mußte, für einen Nebeneingang Sorge zu tragen! Wenn er damals nur ein vier Fuß breites Terrain von dem Nachbar­grundstück zukaufte, so hätten wir einen Eingang für derart Leute gehabt. Jetzt marschirt jeder Küchenjunge durch den Vorgarten, gerade auf unser Haus zu, wie Wenn er miteingeladen wäre. Das sieht lächerlich aus und auch anspruchsvoll, als ob die ganze Köpnickerstraße wissen solle: Treibel's geben heut' ein Diner. Außerdem ist es unklug, dem Neid der Menschen und dem socialdemokratischen Gefühl so ganz nutzlos neue Nahrung zu geben."

Sie sagte sich das ganz ernsthaft, gehörte jedoch zu den Glücklichen, die sich nur Weniges andauernd zu Herzen nehmen, und so kehrte sie denn vom Fenster zu ihrem Toilettentisch zurück, um noch Einiges zu ordnen und den Spiegel zu befragen, ob sie sich neben ihrer Hamburger Schwiegertochter auch werde be­haupten können. Helene war freilich nur halb so alt, ja kaum das; aber die Commerzienräthin wußte recht gut, daß Jahre nichts bedeuten und daß Kon­versation und Augenausdruck und namentlich dieWelt der Formen" im einen und im andern Sinne, ja imandern" Sinne noch mehr, den Ausschlag zu geben pflegen. Und hierin war die schon stark an der Grenze des Embonpoint angelangte Commerzienräthin ihrer Schwiegertochter unbedingt überlegen.

" In dem mit dem Boudoir correspondirenden, an der andern Seite des Frontsaales gelegenen Zimmer saß Commerzienrath Treibel und las dasBer­liner Tageblatt". Es war gerade eine Nummer, der derUlk" beilag. Er Weidete sich an dem Schlußbild und las dann einige von Nunne's philosophischen Betrachtungen.Ausgezeichnet . . Sehr gut . . Aber ich werde das Blatt doch bei Seite schieben oder mindestens dasDeutsche Tageblatt" darüber legen müssen.