Frau Jenny Treibel.
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Ich glaube, Vogelfang gibt mich sonst aus. Und ich kann ihn, wie die Dinge 'mal liegen, nicht mehr entbehren, so wenig, daß ich ihn zu heute habe einladen müssen. Ueberhaupt eine sonderbare Gesellschaft! Erst dieser Mr. Nelson, den sich Helene, weil ihre Mädchen 'mal wieder am Plättbrett stehen, gefälligst abgewälzt hat, und zu diesem Nelson dieser Vogelfang, dieser Lieutenant a. D. und Agentprovokateur in Wahlsachen. Er versteht sein Metier, so sagt man mir allgemein, und ich muß es glauben. Jedenfalls scheint mir das sicher: hat er mich erst in Teupitz-Zossen und an den Ufern der wendischen Spree durchgebracht, so bringt er mich auch hier durch. Und das ist die Hauptsache. Denn schließlich läuft doch Alles daraus hinaus, daß ich in Berlin selbst, wenn die Zeit dazu gekommen ist, den Singer oder irgend einen Andern von der Couleur bei Seite schiebe. Nach der Beredtsamkeitsprobe neulich bei Buggenhagen ist ein Sieg sehr Wohl möglich, und so muß ich ihn mir warm halten. Er hat einen Sprechanismus, um den ich ihn beneiden könnte, trotzdem ich doch auch nicht in einem Trappistenkloster geboren und groß gezogen bin. Aber neben Vogelfang? Null. Und kann auch nicht anders sein; denn bei Lichte besehen, hat der ganze Kerl nur drei Lieder auf seinem Kasten und dreht eins nach dem andern von der Walze herunter, und wenn er damit fertig ist, fängt er wieder an. So steht "s mit ihm, und darin steckt seine Macht, gutta eavat wchllom; der alte Wili- bald Schmidt würde sich freuen, wenn er mich so citiren hörte, vorausgesetzt, daß es richtig ist. Oder vielleicht auch umgekehrt; wenn drei Fehler drin sind, amüsirt er sich noch mehr; Gelehrte sind nun 'mal so . . . Vogelfang, das muß ich ihm lassen, hat freilich noch Eines, was wichtiger ist als das ewige Wiederholen, er hat den Glauben an sich und ist überhaupt ein richtiger Fanatiker. Ob es Wohl mit allem Fanatismus ebenso steht? Mir sehr wahrscheinlich. Ein leidlich gescheidtes Individuum kann eigentlich gar nicht fanatisch sein. Wer an einen Weg und eine Sache glaubt, ist allemal ein Poveretto, und ist seine Glaubenssache zugleich er selbst, so ist er gemeingefährlich und eigentlich reif für Dalldorf. Und von solcher Beschaffenheit ist just der Mann, dem zu Ehren ich, wenn ich von Mr. Nelson absehe, heute mein Diner gebe und mir zwei adlige Fräuleins eingeladen habe, blaues Blut, das hier in der Köpnicker- straße so gut wie gar nicht vorkommt und deshalb aus Berlin HU von mir verschrieben werden mußte, ja zur Hälfte sogar aus Charlottenburg. O Vogelfang! Eigentlich ist mir der Kerl ein Greuel. Aber was thut man nicht Alles als Bürger und Patriot."
Und dabei sah Treibel auf das zwischen den Knopflöchern ausgespannte Kettchen mit drei Orden sn miniature, unter denen ein rumänischer der vollgültigste war, und seufzte, während er zugleich auch lachte. „Rumänien, früher Moldau und Wallachei. Es ist mir wirklich zu wenig."
Das erste Coupe, das vorfuhr, war das seines ältesten Sohnes Otto, der sich selbständig etablirt und ganz am Ausgange der Köpnickerstraße, zwischen dem zur Pionierkaserne gehörigen Pontonhaus und dem Schlesischen Thor, einen Holzhof errichtet hatte, freilich von der höheren Observanz, denn es waren Farbehölzer, Fernambuk- und Campecheholz, Mit denen er handelte. Seit etwa acht