Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

Jahren war er auch verheirathet. Im selben Augenblicke, wo der Wagen hielt, zeigte er sich seiner jungen Frau beim Aussteigen behülflich, bot ihr verbindlich den Arm und schritt, nach Passirung des Vorgartens, auf die Freitreppe zu, die zunächst zu einem verandaartigen Vorbau der väterlichen Villa hinausführte. Der alte Commerzienrath stand schon in der Glasthür und empfing die Kinder mit der ihm eigenen Jovialität. Gleich darauf erschien auch die Commerzien- räthin aus dem seitwärts angrenzenden und nur durch eine Portiere von dem großen Empsangssaal geschiedenen Zimmer und reichte der Schwiegertochter die Backe, während ihr Sohn Otto ihr die Hand küßte.Gut, daß Du kommst, Helene," sagte sie mit einer glücklichen Mischung von Behaglichkeit und Ironie, Worin sie, wenn sie wollte, Meisterin war.Ich fürchtete schon, Du würdest Dich auch vielleicht behindert sehen."

Ach, Mama, verzeih' ... Es war nicht bloß des Plätttags halber; unsere Köchin hat zum 1. Juni gekündigt, und wenn sie kein Interesse mehr haben, so sind sie so unzuverlässig; und aus Elisabeth ist nun schon gar kein Verlaß mehr. Sie ist ungeschickt bis zur Unschicklichkeit und hält die Schüsseln immer so dicht über den Schultern, besonders der Herren, als ob sie sich ausruhen wollte . .."

Die Commerzienräthin lächelte halb versöhnt, denn sie hörte gern dergleichen.

. . . Und aufschieben," fuhr Helene fort,verbot sich auch. Mr. Nelson, wie Du weißt, reist schon morgen Abend wieder. Uebrigens ein charmanter junger Mann, der Euch gefallen Wird. Etwas kurz und einsilbig, vielleicht weil er nicht recht weiß, ob er sich deutsch oder englisch ausdrücken soll; aber was er­jagt, ist immer gut und hat ganz die Gesetztheit und Wohlerzogenheit, die die meisten Engländer haben. Und dabei immer wie aus dem Ei gepellt. Ich habe nie solche Manschetten gesehen, und es bedrückt mich geradezu, wenn ich dann sehe, womit sich mein armer Otto behelfen muß, bloß weil man die richtigen Kräfte beim besten Willen nicht haben kann. Und so sauber wie die Manschetten, so sauber ist Alles an ihm, ich meine an Mr. Nelson, auch sein Kopf und sein Haar. Wahrscheinlich, daß er es mit Hona^-rvatsr bürstet, oder vielleicht ist es auch bloß mit Hülse von LtmmxooinK."

Der so rühmlich Gekennzeichnete war der Nächste, der am Gartengitter er­schien und schon im Herankommen die Commerzienräthin einigermaßen in Er­staunen setzte. Diese hatte, nach der Schilderung ihrer Schwiegertochter, einen Ausbund von Eleganz erwartet; statt dessen kam ein Menschenkind daher, an dem, mit Ausnahme der von der jungen Frau Treibel gerühmten Manschettenspecialität, eigentlich Alles die Kritik heraussorderte. Den ungebürsteten Cylinder im Nacken und reisemäßig in einem gelb- und braunquadrirten Anzuge steckend, stieg er, von links nach rechts sich wiegend, die Freitreppe heraus, und grüßte mit der bekannten heimathlichen Mischung von Selbstbewußtsein und Verlegenheit. Otto ging ihm entgegen, um ihn seinen Eltern vorzustellen.

Mr. Nelson trom lävsrpool, derselbe, lieber Papa, mit dem ich . . ."

Ah, Mr. Nelson. Sehr erfreut. Mein Sohn spricht noch oft von seinen glücklichen Tagen in Liverpool und von dem Ausfluge, den er damals mit Ihnen nach Dublin und, wenn ich nicht irre, auch nach Glasgow machte. Das geht jetzt ins neunte Jahr; Sie müssen damals noch sehr jung gewesen sein."