Frau Jenny Treibel.
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„O nicht sehr jung, Mr. Treibel, . . . adout sixtasn ..."
„Nun, ich dächte doch, sechzehn ..."
„O, sechzehn, nicht sehr jung, . . . nicht für uns."
Diese Versicherungen klangen um so komischer, als Mr. Nelson, auch jetzt noch, wie ein Junge wirkte. Zu weiteren Betrachtungen darüber war aber keine Zeit, weil eben jetzt eine Droschke zweiter Classe vorsuhr, der ein langer, hagerer Mann in Uniform entstieg. Er schien Auseinandersetzungen mit dem Kutscher zu haben, während deren er übrigens eine beneidenswerth sichere Haltung beobachtete, und nun rückte er sich zurecht und warf die Gitterthür ins Schloß. Er war in Helm und Degen; aber ehe man noch der „Schilderhäuser" auf seiner Achselklappe gewahr werden konnte, stand es für jeden mit militärischem Blick nur einigermaßen Ausgerüsteten fest, daß er seit wenigstens dreißig Jahren außer Dienst sein müsse. Denn die Grandezza, mit der er daher kam, war mehr die Steifheit eines alten, irgend einer ganz seltenen Secte zugehörigen Torf- oder Salzinspectors, als die gute Haltung eines Officiers. Alles gab sich mehr oder weniger automatenhaft, und der in zwei gewirbelten Spitzen auslaufende schwarze Schnurrbart wirkte nicht nur gefärbt, was er natürlich war, sondern zugleich auch wie angeklebt. Desgleichen der Henriquatre. Dabei lag sein Untergesicht im Schatten zweier vorspringender Backenknochen. Mit der Ruhe, die sein
ganzes Wesen auszeichnete, stieg er jetzt die Freitreppe hinaus und schritt aus die Commerzienräthin zu. „Sie haben besohlen, meine Gnädigste. .." „Hoch erfreut, Herr Lieutenant . . ." Inzwischen war auch der alte Treibel herangetreten und sagte: „Lieber Vogelfang, erlauben Sie mir, daß ich Sie mit den Herrschaften bekannt mache; meinen Sohn Otto kennen Sie, aber nicht seine Frau, meine liebe Schwiegertochter, — Hamburgerin, wie Sie leicht erkennen werden . . . Und hier," und dabei schritt er aus Mr. Nelson zu, der sich mit dem inzwischen ebenfalls erschienenen Leopold Treibel gemüthlich und ohne jede Rücksicht aus den Rest der Gesellschaft unterhielt, „und hier ein junger lieber Freund unseres Hauses, Mr. Nelson krom Liverpool."
Vogelfang zuckte bei dem Wort „Nelson" zusammen und schien einen Augenblick zu glauben — denn er konnte die Furcht des Gefopptwerdens nie ganz los werden <—, daß man sich einen Witz mit ihm erlaube. Die ruhigen Mienen Aller aber belehrten ihn bald eines Besseren, weshalb er sich artig verbeugte und zu dem jungen Engländer sagte: „Nelson. Ein großer Name. Sehr erfreut, Mr. Nelson."
Dieser lachte dem alt und aufgesteist vor ihm stehenden Lieutenant ziemlich ungenirt ins Gesicht, denn solche komische Person war ihm noch gar nicht vorgekommen. Daß er in seiner Art eben so komisch wirkte, dieser Grad der Er- kenntniß lag ihm fern. Vogelfang biß sich aus die Lippen und befestigte sich, unter dem Eindruck dieser Begegnung, in der lang gehegten Vorstellung von der Impertinenz englischer Nation. Im Uebrigen war jetzt der Zeitpunkt da, wo das Eintreffen immer neuer Ankömmlinge von jeder anderen Betrachtung abzog und die Sonderbarkeiten eines Engländers rasch vergessen ließ.
Einige der befreundeten Fabrikbesitzer aus der Köpnickerstraße lösten in ihren Chaisen mit niedergeschlagenem Verdeck die, wie es schien, noch immer sich be-