Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

zeigte. Dazu wehte, der ganzen Atmosphäre auch hier den Charakter gebend, von einem nach hinten zu führenden Corridor her ein sonderbarer Küchengeruch heran, der, wenn nicht Alles täuschte, nur auf Rührkartoffeln und Carbonade ge­deutet werden konnte, beides mit Seifenwrafen untermischt.Also kleine Wäsche," sagte die von dem Allen wieder ganz eigenthümlich berührte stattliche Dame still vor sich hin, während sie zugleich weit zurückliegender Tage gedachte, wo sie selbst hier, in eben dieser Adlerstraße, gewohnt und in dem gerade gegenüber gelegenen Materialwaarenladen ihres Vaters mit im Geschäft geholfen und auf einem über zwei Kasfeesäcke gelegten Brett kleine und große Düten geklebt hatte, was ihr jedesmal mitzwei Pfennig fürs Hundert" gut gethan worden war.Eigentlich viel zu viel, Jenny," pflegte dann der Alte zu sagen,aber Du sollst mit Geld umgehen lernen." Ach, waren das Zeiten gewesen! Mittags, Schlag Zwölf, wenn man zu Tisch ging, saß sie zwischen dem Commis Herrn Mielke und dem Lehrling Louis, die beide, so verschieden sie sonst waren, dieselbe hochstehende Kammtolle und dieselben erfrorenen Hände hatten. Und Louis schielte bewundernd nach ihr hinüber, aber wurde jedesmal verlegen, wenn er sich ans seinen Blicken ertappt sah. Denn er war zu niedrigen Standes, ans einem Obstkeller in der Spreegasse. Ja, das Alles stand jetzt wieder vor ihrer Seele, während sie sich aus dem Flur nmsah und endlich die Klingel neben der Thür zog. Der überall verbogene Draht raschelte denn auch, aber kein Anschlag ließ sich hören, und so faßte sie schließlich den Klingelgriff noch einmal und zog stärker. Jetzt klang auch ein Bimmelton von der Küche her bis aus den Flur herüber, und ein paar Augenblicke später ließ sich erkennen, daß eine hinter dem Guckloch befindliche kleine Holzklappe bei Seite geschoben wurde. Sehr wahrscheinlich war es des Professors Wirthschafterin, die jetzt, von ihrem Beobachtungsposten aus, nach Freund c^er Feind aussah, und als diese Beobachtung ergeben hatte , daß es gut Freund" sei, wurde der Thürriegel ziemlich geräuschvoll zurückgeschoben, und eine ramasstrte Frau von Ausgangs Vierzig, mit einem ansehnlichen Haubenbau aus ihrem vom Herdfeuer gerötheten Gesicht, stand vor ihr.

Ach, Frau Treibel . . . Frau Commerzienräthin . . . Welche Ehre . . ."

Guten Tag, liebe Frau Schmolle. Was macht der Professor? Und was macht Fräulein Corinna? Ist das Fräulein zu Hause?"

Ja, Frau Commerzienräthin. Eben wieder nach Hause gekommen aus der Philharmonie. Wie wird sie sich freuen."

Und dabei trat Frau Schmolle zur Seite, um den Weg nach dem ein- senstrigen, zwischen den zwei Vorderstuben gelegenen und mit einem schmalen Leinwandläuser belegten Entrse frei zu geben. Aber ehe die Commerzienräthin noch eintreten konnte, kam ihr Fräulein Corinna schon entgegen und führte die mütterliche Freundin", wie sich die Räthin gern selber nannte, nach rechts hin, in das eine Vorderzimmer.

Dies war ein hübscher, hoher Raum, die Jalousien herab gelassen, die Fenster nach innen auf, vor deren einem eine Blumenestrade mit Goldlack und Hyacinthen stand. Auf dem Sophatische präsentirte sich gleichzeitig eine Glasschale mit Apfelsinen, und die Porträts der Eltern des Professors, des Rechnnngsraths Schmidt aus der Heroldskammer und seiner Frau, geb. Schwerin, sahen auf die