Frau Jenny Treidel.
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lein, ich begreife vollkommen, trotzdem es meinem persönlichen Geschmack widerspricht, daß eine Mutter ihr Kind auf einen richtigen Engel hin erzieht; man kann nie ganz genau wissen, wie diese Dinge liegen, und wenn es zum Letzten kommt, so ganz zweifelsohne vor seinem Richter zu stehen, wer sollte sich das nicht wünschen? Ich möchte beinah' sagen, ich wünsch' es mir selber. Aber, mein liebes Fräulein, Engel und Engel ist ein Unterschied, und wenn der Engel weiter nichts ist als ein Wasch-Engel und die Fleckenlosigkeit der Seele nach dem Seifenconsum berechnet und die ganze Reinheit des werdenden Menschen aus die Weißheit seiner Strümpfe gestellt wird, so erfüllt mich dies mit einem leisen Grauen. Und wenn es nun gar das eigene Enkelkind ist, dessen flachsene Haare, Sie werden es auch bemerkt haben, vor lauter Pflege schon halb ins Kakerlakige sallen, so wird einem alten Großvater himmelangst dabei. Könnten Sie sich nicht hinter die Wulften stecken? Die Wulften ist eine verständige Person und bäumt, glaub' ich, innerlich gegen diese Hamburgereien aus. Ich Würde mich freuen, wenn Sie Gelegenheit nähmen . . ."
In diesem Augenblicke wurde Czicka wieder unruhig und blaffte lauter als zuvor. Treibel, der sich in Auseinandersetzungen derart nicht gern unterbrochen sah, wollte verdrießlich werden, aber ehe er noch recht dazu kommen konnte, wurden drei junge Damen von der Villa her sichtbar, zwei von ihnen ganz gleichartig in bastfarbene Sommerstoffe gekleidet. Es waren die beiden Felgentreu's, denen Helene folgte.
„Gott sei Dank, Helene," sagte Treibel, der sich — vielleicht weil er ein schlechtes Gewissen hatte — zunächst an die Schwiegertochter wandte, „Gott sei Dank, daß ich Dich einmal wiedersehe. Du warst eben der Gegenstand unseres Gesprächs, oder mehr noch Dein liebes Lizzichen, und Fräulein Honig stellte fest, daß Lizzichen ein Engel sei. Du kannst Dir denken, daß ich nicht widersprochen habe. Wer ist nicht gern der Großvater eines Engels? Aber, meine Damen, was verschafft mir so früh diese Ehre? Oder gilt es meiner Frau? Sie hat ihre Migräne. Soll ich sie rufen lassen . . ?"
„O nein, Papa," sagte Helene mit einer Freundlichkeit, die nicht immer ihre Sache war. „Wir kommen zu Dir. Felgentreu's haben nämlich vor, heute Nachmittag eine Partie nach Halensee zu machen, aber nur wenn alle Treibel's, von Otto und mir ganz abgesehen, daran theilnehmen." Die Felgentreu'schen Schwestern bestätigten dies Alles durch Schwenken ihrer Sonnenschirme, während Helene sortsuhr: „Und nicht später als drei. Wir müssen also versuchen, unserem Lunch einen kleinen Dinnercharakter zu geben, oder aber unser Dinner bis ans acht Uhr Abends hinausschieben. Elfriede und Blanca wollen noch in die Adlerstraße, um auch Schmidt's auszufordern, zum mindesten Corinna; der Professor kommt dann vielleicht nach. Krola hat schon zugesagt und will ein Quartett mitbringen, darunter zwei Referendare von der Potsdamer Regierung . . ."
„Und Reserveofsiciere," ergänzte Blanca, die jüngere Felgentreu . . .
„Reserveosficiere," wiederholte Treibel ernsthaft. „Ja, meine Damen, das gibt den Ausschlag. Ich glaube nicht, daß ein Hierlandes lebender Familienvater, auch wenn ihm ein grausames Schicksal eigene Töchter versagte, den Muth haben wird, eine Landpartie mit zwei Reservelieutenants auszuschlagen. Also