Heft 
(1897) 08
Seite
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Stechlin.

Aber Herr Gras!" sagte Waldemar und nahm des alten Herrn linken Arm, um ihn bis an seinen Lehnstuhl und eine für den kranken Fuß zurecht­gemachte Stellage zurückzuführen.Ich fürchte, daß ich störe."

Ganz im Gegenteil, lieber Stechlin. Mir hoch willkommen. Außerdem Hab' ich strikten Befehl, Sie, eoM6 gus coMe, festzuhalten; Sie wissen, Damen sind groß in Ahnungen, und bei Melusine hat es schon geradezu was Prophetisches."

Waldemar lächelte.

Sie lächeln, lieber Stechlin, und haben recht. Denn daß sie nun schließlich doch gegangen ist (natürlich zn den Berchtesgadens), ist ein Beweis, daß sie sich und ihrer Prophetie doch auch wieder mißtraut. Aber man ist immer nur klug und weise für andre. Die Doktors machen es ebenso; wenn sie sich selber behandeln sollen, wälzen sie die Ver­antwortung von sich ab und sterben lieber durch fremde Hand. Aber was sprech' ich nur immer von Melusine. Freilich, wer in unserm Hause so gut Bescheid weiß wie Sie, wird nichts Ueberraschliches darin finden. Und zugleich wissen Sie, wie's gemeint ist. Armgard ist übrigens in Sicht; keine zehn Minuten mehr, so werden wir sie hier haben."

,Jst sie mit bei der Baronin?"

Nein, Sie dürfen sie nicht so weit suchen. Armgard ist in ihrem Zimmer, und Doktor Wrschowitz ist bei ihr. Es kann aber nicht lange mehr dauern."

Aber ich bitte Sie, Herr Gras, ist die Com- tesse krank?"

Gott sei Dank, nein. Und Wrschowitz ist auch kein Medizindoktor, sondern ein Musikdoktor. Sie haben von ihm rein Zufällig noch nicht gehört, weil erst vorige Woche, nach einer langen, langen Pause, die Stunden wieder ausgenommen wurden. Er ist aber schon seit Jahr und Tag Armgards Lehrer."

Musikdoktor? Giebt es denn die?"

Lieber Stechlin, es giebt alles. Also natürlich auch das. Und so sehr ich im ganzen gegen die Doktorhascherei bin, so liegt es hier doch so, daß ich dem armen Wrschowitz seinen Musikdoktor beinah' verzeihen muß. Er hat den Titel auch noch nicht lange."

Das klingt ja fast wie 'ne Geschichte."

Trifft auch zu. Können Sie sich denken, daß Wrschowitz ans einer Art Verzweiflung Doktor ge­worden ist?"

Kanin. Und wenn kein Geheimnis..."

Durchaus nicht; nur ein Kuriosum. Wrschowitz hieß nämlich bis vor zwei Jahren, wo er als Klavier­lehrer, aber als ein höherer (denn er hat auch eine Oper komponiert), in unser Haus kam, einfach Niels Wrschowitz, und er ist bloß Doktor geworden, um den Niels aus seiner Visitenkarte los zu werden."

Und das ist ihm auch geglückt?"

Ich glaube ja, wiewohl es immer noch vor­kommt, daß ihn einzelne Niels nennen, entweder aus Zufall oder auch wohl mal aus Schändlichkeit. Und in letzterem Falle sind es immer Kollegen. Denn die Musiker sind die boshaftesten Menschen. In der Regel denkt man, die Prediger und die

Schauspieler seien die schlimmsten. Aber weit gefehlt. Die Musiker sind ihnen über. Und ganz besonders schlimm sind die, die die sogenannte heilige Musik machen."

Ich habe dergleichen auch schon gehört," sagte Woldemar.Aber was ist das nur mit Niels? Niels ist doch an und für sich ein hubscher und ganz harmloser Name. Nichts Anzügliches drin."

Gewiß nicht. Aber Wrschowitz und Niels! Er­litt, glaub' ich, unter diesem Gegensatz."

Woldemar lachte.Das kenn' ich. Das kenn' ich von meinem Vater her, der Dubslav heißt, was ihm auch immer höchst unbequem war. Und da reichen wohl nicht hundertmal, daß ich ihn wegen dieses Namens seinen Vater habe verklagen hören."

Genau so hier," fuhr der Gras in seiner Er­zählung fort.Wrschowitz' Vater, ein kleiner Kapell­meister an der tschechisch-polnischen Grenze, war ein Niels Gade-Schwärmer, woraufhin er seinen Jungen einfach Niels taufte. Das war nun wegen des Kontrastes schon gerade bedenklich genug. Aber das eigentlich Bedenkliche kam doch erst, als der mehr und mehr ein scharfer Wagnerianer werdende Niels Wrschowitz sich zum direkten Niels Gade-Verächter ausbildete. Niels Gade war ihm der Inbegriff alles Trivialen und Unbedeutenden, und dazu kam noch (wie Amen in der Kirche), daß unser junger Freund, wenn er als ,Niels Wrschowitz' vorgestellt wurde, mit einer Art Sicherheit der Phrase be­gegnete: ,Niels? Ah, Niels. Ein schöner Name innerhalb unsrer musikalischen Welt. Und hoch er­freulich, ihn hier zum zweiten Male vertreten zu sehen.' All das konnte der arme Kerl auf die Dauer nicht aushalten, und so kam er auf den Gedanken, den Vornamen auf seiner Karte durch einen Doktortitel wegzueskamotieren."

Woldemar nickte.

Jedenfalls, lieber Stechlin, ersehen Sie daraus zur Genüge, daß unser Wrschowitz, als richtiger Künstler, in die Gruppe gen8 ii-rita.bili8 gehört, und wenn Armgard ihn vielleicht aufgefordert haben sollte, zum Thee zu bleiben, so bitt' ich Sie herzlich, dieser Reizbarkeit eingedenk zu sein. Wenn irgend möglich, vermeiden Sie Beziehungen auf die ganze skandinavische Welt, besonders auf Dänemark direkt. Er wittert überall Verrat. Uebrigens, wenn man aus seiner Hut ist, ist er ein feiner und gebildeter Mann. Ich Hab' ihn eigentlich gern, weil er anders ist wie andre."

Der alte Graf behielt recht mit seiner Vermutung: Armgard hatte den Doktor Wrschowitz aufgesordert zu bleiben, und als bald nach acht Jeserich eiutrat, um den Grasen und Woldemar zum Thee zu bitten, fanden sie beim Eintritt in das Mittelzimmer nicht nur Armgard, sondern auch Wrschowitz vor, der, die Finger ineinander gefaltet, mitten in dem Salon stand und die an der Büfsettwand hängenden Bilder mit jenem eigentümlichen Mischausdruck von auf­richtigem Gelangweiltsein und erkünsteltem Interesse musterte. Der Rittmeister hatte dem Grasen wieder seinen Arm geboten; Armgard ging auf Woldemar