aber aus und rührte sich nicht. „Was Sonnenuntergang! Den seh'ich jeden Abend. Ich sitze hier sehr gut und freue mich schon auf die Lichter."
Und nicht lange mehr, so waren diese Lichter auch wirklich da. Nicht nur das ganze Lokal erhellte sich, sondern auch auf dem drüben am andern Ufer sich hinziehenden Eisenbahndamm zeigten sich allmählich die verschiedenfarbigen Signale, während mitten auf der Spree, wo Schleppdampfer die Kähne Zogen, ein verblaktes Rot aus den Kajütenfenstern hervorglühte. Dabei wurde es kühl, und die Damen wickelten sich in ihre Plaids und Mäntel.
Auch die Herren fröstelten ein wenig, und so trat denn der ersichtlich etwas planende Woldemar nach kurzem Ausundabschreiten an das in der Nähe befindliche Büffett heran, nm da zur Herstellung einer besseren Jnnentemperatur das Nötige zu veranlassen. Und siehe da, nicht lange mehr, so stand auch schon ein großes Tablett mit Gläsern und Flaschen vor ihnen und dazwischen ein Deckelkrug, ans dem, als man den Deckel aufklappte, der heiße Wrasen empor- schlng. Die Baronin, in solchen Dingen die Scharfblickendste, war sofort orientiert und sagte: „Lieber Stechlin, ich beglückwünsche Sie. Das war eine große Idee."
„Ja, meine Damen, ich glaubte, daß etwas geschehen müsse, sonst haben wir morgen samt und sonders einen akuten Rheumatismus. Und Zurück müssen wir doch auch. Auf dem Schiffe, wo solche Hilfsmittel, glaub' ich, fehlen, sind wir allen Unbilden der Elemente preisgegeben."
„Und Sie konnten wirklich nicht besser wählen," unterbrach Melusine. „Schwedischer Punsch, für den ich ein UllinZ habe. Wie für Schweden überhaupt. Da Doktor Wrschowitz nicht da ist, können wir uns ungestraft einem gewissen Maß von Skandinavismus überlassen."
„Am liebsten ohne alles Maß," sagte Woldemar, „so skandinavisch bin ich. Ich ziehe die Skandinaven den sonst Meistbegünstigten' unter den Nationen immer noch vor. Alle Länder erweitern übrigens ihre Spezialgebiete. Früher hatte Schweden nur zweierlei: Mut und Eisen, von denen man sagen muß, daß sie gut Zusammen passen. Dann kamen die ,Säkerhets Tändstickors', und nun haben wir den schwedischen Punsch, den ich in diesem Augenblick unbedingt am Höchstenstelle. Ihr Wohl, meine Damen."
„Und das Ihre," sagte Melusine, „denn Sie sind doch der Schöpfer dieses glücklichen Moments. Aber wissen Sie, lieber Stechlin, daß ich in Ihrer Aufzählung schwedischer Herrlichkeiten etwas vermißt habe. Die Schweden haben noch eins — oder hatten es wenigstens. Und das war die schwedische Nachtigall."
„Ja, die Hab' ich vergessen. Es fällt vor meine Zeit."
„Ich könnte," lachte die Gräfin, „vielleicht auch sagen: vor meine Zeit. Aber was thut's, ich will mich gerne dazu bekennen, die Lind noch leibhaftig gekannt zu haben. Freilich nicht mehr so eigentlich als schwedische Nachtigall. Und überhaupt unter andern: Namen."
Neber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 8.
„Ja, ich erinnere mich," sagte Woldemar, „sie hatte sich verheiratet. Wie hieß sie doch?"
„Goldschmidt, ein Name, den man schon um ,Goldschmidts Töchterleim willen gelten lassen kann. Aber an Jenny Lind reicht er doch nicht heran."
„Gewiß nicht. Und Sie sagten, Frau Gräfin, Sie hätten sie noch persönlich gekannt?"
„Ja, gekannt und auch gehört. Sie sang damals, wenn auch nicht mehr öffentlich, so doch immer noch in ihrem häuslichen Salon. Diese Bekanntschaft Zählt Zu meinen liebsten und stolzesten Erinnerungen. Ich war noch ein halbes Kind, aber trotzdem doch mit eingeladen, was mir allein schon etwas bedeutete. Dazu die Fahrt von Hyde-Park bis in die Villa hinaus. Ich weiß noch deutlich, ich trug ein weißes Kleid und einen hellblauen Kaschmirumhang und das Haar ganz aufgelöst. Die Lind beobachtete mich, und ich sah, daß ich ihr gefiel. Wenn man Eindruck macht, das behält man auch später noch. Und nun gar mit vierzehn!"
„Die Lind," warf die Baronin hier etwas prosaisch ein, „soll als Kind sehr häßlich gewesen sein."
„Ich hätte das Gegenteil vermutet," bemerkte Woldemar.
„Und auf welche Veranlassung hin, lieber Stechlin?"
„Weil ich ein Bild von ihr kenne. Wir haben es feit einiger Zeit von einem unsrer besten Maler ans unsrer Nationalgalerie. Aber lange bevor ich es da sah, kannt' ich es schon en mmiatui-6, und Zwar aus einer im Besitz meines Freundes Lorenzen befindlichen Aquarelle. Diese Kopie hängt über seinem Sofa, dicht unter einer Rubensfchen Kreuzabnahme. Wenn man will, eine etwas sonderbare Zusammenstellung."
„Und das alles in Ihrer Stechliner Pfarre!" sagte Melusine. „Wissen Sie, Stechlin, daß ich die Thatsache, daß so was überhaupt in einem kleinen Dorfe Vorkommen kann, Ihrem berühmten See beinah' gleichstelle? Unsre schwedische Nachtigall in Ihrem ,Nuppiner Winkel', wie Sie selbst beständig sich auszudrücken lieben. Die Lind! Und wie kam Ihr Pastor dazu?"
„Die Lind war, glaub' ich, seine erste Liebe. Sehr wahrscheinlich auch seine letzte. Lorenzen saß damals noch auf der Schulbank und schlug sich mit Stundengeben durch. Aber er hörte die Diva trotzdem jeden Abend und wußte sich auch, trotz bescheidenster Mittel, das Bildchen zu verschaffen. Fast grenzt es ans Wunderbare. Freilich verlaufen die Dinge meist so. Wär' er reich gewesen, so hätt' er sein Geld anderweitig verthan und die Lind vielleicht nie gehört und gesehen. Nur die Armen bringen die Mittel auf für das, was jenseits des Gewöhnlichen liegt; aus Begeisterung und Liebe fließt alles. Und es ist etwas sehr Schönes, daß es so ist in unserm Leben. Vielleicht das Schönste."
Das will ich meinen," sagte die Gräfin. „Und ich dank' es Ihnen, lieber Stechlin, daß Sie das gesagt haben. Das war ein gutes Wort, das ich Ihnen nicht vergessen will. Und dieser Lorenzen war Ihr Lehrer und Erzieher?"
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