Heft 
(1897) 08
Seite
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Ueber Land und Meer.

Ja, mein Lehrer und Erzieher. Zugleich mein Freund und Berater. Der, den ich über alles liebe."

Gehen Sie darin nicht Zu weit?" lachte Melusine.

Vielleicht, Gräfin, oder sag' ich lieber: gewiß. Und ich hätte dessen eingedenk sein sollen, gerade heut und gerade hier. Aber so viel bleibt: ich liebe ihn sehr, weil ich ihm alles verdanke, was ich bin, und weil er reinen Herzens ist."

Reinen Herzens," sagte Melusine.Das ist viel. Und Sie sind dessen sicher?"

Ganz sicher."

Und von diesem Unikum erzählen Sie uns erst heute! Da waren Sie neulich mit dem guten Wrschowitz bei uns und haben uns allerhand Schreck­liches von Ihrem Misogynen Prinzen wissen lassen. Und während Sie den in den Vordergrund stellen, halten Sie diesen Pastor Lorenzeu ganz gemütlich in Reserve. Wie kann man so grausam sein und mit seinen Berichten und Redekünsten so launenhaft operieren! Aber holen Sie wenigstens nach, was Sie versäumt haben. Die Fragen drängen sich ordentlich. Wie kam Ihr Vater auf den Einfall, Ihnen einen solchen Erzieher zu geben? Und wie kam ein Mann wie dieser Lorenzen in diese Gegenden? Und wie kam er überhaupt in diese Welt? Es ist so selten, so selten."

Armgard und die Baronin nickten.

Ich bekenne, mich quält die Neugier, mehr von ihm Zu hören," fuhr Melusine fort.Und er ist unverheiratet? Schon das allein ist immer ein gutes Zeichen. Durchschnittsmenschen glauben sich so schnell wie möglich verewigen zu müssen, damit die Herrlichkeit nicht ausstirbt. Ihr Lorenzeu ist eben in allem, wie mir scheint, ein Ausnahmemensch. Also beginnen."

Ich bin dazu besten Willens, Frau Gräfin. Aber es ist zu spät dazu, denn das Helle Licht, das Sie da sehen, das ist bereits unser Dampfer. Wir haben keine Wahl mehr, wir müssen abbrechen, wenn wir nicht im Eierhäuschen ein Nachtquartier nehmen wollen. Unterwegs ist übrigens Lorenzeu ein wunder­volles Thema, vorausgesetzt, daß uns der Anblick der Liebesinsel nicht wieder auf andre Dinge bringt. Aber hören Sie. . . der Dampfer läutet schon. . . wir müssen eilen. Bis an die Anlegestelle sind noch mindestens drei Minuten!"

Ä-

Und nun war man glücklich auf dem Schiff, auf dem Woldemar und die Damen ihre schon auf der Hinfahrt innegehabten Plätze sofort wieder ein- nahmen. Nur die beiden in ihre Plaids gewickelten alten Herren schritten auf Deck aus und ab und sahen, wenn sie vorn am Bugspriet eine kurze Rast machten, auf die vielen hundert Lichter, die sich von beiden Ufern her im Fluß spiegelten. Unten im Maschinenraum hörte man das Klappern und Stampfen, während die Schiffsschraube das Wasser nach hinten schleuderte, daß es in einem weißen Schaumstreifen dem Schiffe folgte. Sonst war alles still, so still, daß die Damen ihr Gespräch unter­brachen.Armgard, du bist so schweigsam," sagte

Melusine,finden Sie nicht auch, lieber Stechlin? Meine Schwester hat noch keine zehn Worte gesprochen."

Ich glaube, Gräfin, wir lassen die Comtesse. Manchem kleidet es Zu sprechen, und manchem kleidet es zu schweigen. Jedes Beisammensein braucht einen Schweiger."

Ich werde Nutzen aus dieser Lehre ziehen."

Ich glaub' es nicht, Gräfin, und vor allem wünsch' ich eS nicht. Wer könnt' es wünschen?"

Sie drohte ihm mit dem Finger. Dann schwieg man wieder und sah auf die Landschaft, die da, wo der am Ufer hinlaufende Straßenzug breite Lücken aufwies, in tiefem Dunkel lag. Urplötzlich aber stieg gerade aus dem Dunkel heraus ein Licht­streifen hoch in den Himmel und zerstob da, wobei rote und blaue Leuchtkugeln langsam Zur Erde niederfielen.

Wie schön," sagte Melusine.Das ist mehr, als wir erwarten durften; Ende gut, alles gut, nun haben wir auch noch ein Feuerwerk. Wo mag es sein? Welche Dörfer liegen da hinüber? Lieber Stechlin, Sie sind ja so gut wie ein Generalstäbler, Sie müssen es wissen. Ich vermute Friedrichsfelde. Reizendes Dorf und reizendes Schloß. Ich war einmal da; die Dame des Hauses ist eine Schwester der Frau von Hülsen. Ist es Friedrichsfelde?"

Vielleicht, gnädigste Gräfin. Aber doch nicht wahrscheinlich. Friedrichsfelde gehört nicht in die Reihe der Vororte, wo Feuerwerke sozusagen auf dem Programm stehen. Ich denke, wir lassen es im Un­gewissen und freuen uns der Sache selbst. Sehen Sie, jetzt beginnt es erst recht eigentlich. Die Rakete, die wir da vorhin gesehen haben, das war nur Vor­spiel. Jetzt haben wir erst das Stück. Es ist zu weit ab, sonst würden wir das Knattern hören und die Kanonenschläge. Wahrscheinlich ist es Sedan oder Düppel oder der Uebergang nach Alfen. Uebrigens ist die Pyrotechnik eine profunde Wissenschaft ge­worden."

Und es soll auch Personen geben, die ganz dafür leben und ihr Vermögen dafür hinopfern wie früher die Holländer für Tulpen. Tulpen wäre nun freilich nicht mein Geschmack. Aber Feuerwerk!"

Ja, unbedingt. Und nur schade, daß alle die, die damit zu thun haben, über kurz oder lang in die Luft fliegen."

Das ist fatal. Aber es steigert doch auch wieder den Reiz. Sonderbar, gefahrlose Berufe, solche, die sozusagen eine Zipfelmütze tragen, sind mir von jeher ein Greuel gewesen. Interesse hat doch immer nur das va banqus: Torpedoboote, Tunnel unter dem Meere, Luftballons. Ich denke nur, das Nächste, was wir erleben, sind Luftschifferschlachten. Wenn dann so eine Gondel die andre entert. Ich kann mich in solche Vorstellungen geradezu verlieben."

Ja, liebe Melusine, das seh' ich," unterbrach hier die Baronin.Sie verlieben sich in solche Vorstellungen und vergessen darüber die Wirklich­keiten und sogar unser Programm. Ich muß an­gesichts dieser doch erst kommenden Luftschiffer­schlachten daran erinnern, daß heute noch wer anders in der Luft schwebt: Pastor Lorenzen. Von dem