Heft 
(1897) 08
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H

Stechlin.

Lorenzen an Waldemar geschrieben, daß ein Fort­schrittler, aber auch ein Sozialdemokrat gewählt werden könne.

Wie die Stimmung im Kreise wirklich war, das hätte der am besten erfahren, der im Vorübergehen an der Comptoirthür des alten Barnch Hirschfeld gehorcht hätte.

Laß dir sagen, Isidor, du wirst also wählen den guten alten Herrn von Stechlin."

Nein, Vater. Ich werde also nicht wählen den guten alten Herrn von Stechlin."

Warum nicht? Ist er doch ein lieber Herr und hat das richtige Herz."

Aber das falsche Prinzip."

Isidor, sprich mir nicht von Prinzip. Ich habe dich gesehn, als du hast scharmiert mit dem Mariechen von nebenan und hast ihr aufgebunden das Schürzen- Land, und sie hat dir gegeben einen Klaps. Du hast gebuhlt um das christliche Mädchen. Und du buhlst jetzt, wo die Wahl kommt, um die öffentliche Meinung. Und das mit dem Mädchen, das Hab' ich dir verziehen. Aber die öffentliche Meinung ver­zeih' ich dir nicht."

Aber Vater, das ist ja doch die neue Zeit. Und wenn ich wähle, wähl' ich für die Menschheit."

Geh mir, Isidor, die kenn' ich. Die Mensch­heit, die will immer haben, aber sie will nicht geben. Und jetzt wollen sie auch noch teilen."

Laß sie teilen, Vater."

Gott der Gerechte, was meinst du, was du kriegst? Nicht den zehnten Teil."

Und ähnlich ging es in den andern Ortschaften. Wutz sprach Fix für das Kloster und die Konservativen im allgemeinen, ohne dabei Dubslaw in Vorschlag zu bringen, weil er wußte, wie die Domina zu ihrem Bruder stand. Ein Links­kandidat aus Cremmen schien' denn auch in der Wutzer Gegend die Oberhand gewinnen zu sollen. Noch gefährlicher für die ganze Grafschaft war ein Wanderapostel aus Berlin, der von Dorf Zu Dorf Zog und die kleinen Leute dahin belehrte, daß es ein Unsinn sei, von Adel und Kirche was Zu erwarten. Die vertrösteten immer bloß auf den Himmel. Aber achtstündige Arbeitszeit und Lohnerhöhung und Sonntagspartie nach Finkenkrug, das sei das Wahre.

So zersplitterte sich's allerorten. Aber wenigstens um den Stechlin herum hoffte man der Sache noch Herr werden und alle Stimmen aus Dubslaw ver­einigen zu können. Im Dorskruge wollte man zu diesem Zwecke beraten, und Donnerstag sieben Uhr war dazu festgesetzt.

In

Der Stechliner Krug lag an dem Platze, der durch die Kreuzung der von Wutz her heranführenden Kastanienallee mit der eigentlichen Dorsstraße gebildet wurde, und war unter den vier hier gelegenen Eck­häusern das stattlichste. Vor seiner Front standen ein paar uralte Linden, und drei, vier Steh­krippen waren bis dicht an die Hauswand heran ge­schoben, aber alle ganz nach links hin, wo sich Eckladen und Gaststube befanden, während nach der rechten Seite

hin der große Saal lag, in dem heute Dubslaw, wenn nicht für die Welt, so doch für Rheinsberg- Wutz, und wenn nicht für Rheinsberg-Wutz, so doch für Stechlin und Umgegend proklamiert werden sollte. Dieser große Saal war ein fünffenstriger Längsraum, der schon manchen Schottischen erlebt, was er in seiner Erscheinung auch heute nicht zu verleugnen trachtete. Denn nicht nur waren ihm alle seine blanken Wandleuchter verblieben, auch die mächtige Baßgeige, die jedesmal wegzuschaffen viel zu mühsam gewesen wäre, guckte, schräg gestellt, mit ihrem langen Halse von der Musikempore her über die Brüstung fort.

Unter dieser Empore, quer durch den Saal hin, stand ein für das Komitee bestimmter länglicher Tisch mit Tischdecke, während auf den links und rechts sich hinziehenden Bänken einige zwanzig Vertrauens­männer saßen, denen es hinterher oblag, im Sinne der Komiteebeschlüsse weiter zu wirken. Diese Ver­trauensmänner waren meist wohlhabende Stechliner Bauern, untermischt mit offiziellen und halboffiziellen Leuten aus der Nachbarschaft: Förster und Wald­hüter und Vormänner von den verschiedenen Glas- und Teeröfen. Zn diesen gesellte sich noch ein Torf­inspektor, ein Vermeffungsbeamter, ein Steueroffiziant und schließlich ein gescheiterter Kaufmann, der jetzt Agent war und die Post besorgte. Natürlich war auch Landbriefträger Brose da samt der gesamten Sicher­heitsbehörde: Fußgendarm Uncke und Wachtmeister Pyterke von der reitenden Gendarmerie. Pyterke gehörte nur halb mit Zum Revier (es war das immer ein streitiger Punkt), erschien aber trotzdem mit Vor­liebe bei Versammlungen derart. Es gab nämlich für ihn nichts Vergnüglicheres, als seinen Kameraden und Amtsgenossen Uncke bei solcher Gelegenheit zu beobachten und sich dabei seiner ungeheuren, übrigens durchaus berechtigten Ueberlegenheit als schöner Mann und ehemaliger Gardekürassier bewußt zu werden. Uncke war ihm der Inbegriff des Komischen, und wenn ihn schon das rote, verkupferte Gesicht an und für sich amüsierte, so viel mehr noch der ge­färbte Schuhbürstenbackenbart, vor allem aber das Augenspiel, mit dem er den Verhandlungen zu folgen pflegte. Seine Miene sagte beständig:An mir hängt es." Dabei war er ein höchst gutmütiger Mann, der nie mehr als nötig ausschrieb und auch nur selten auslöste.

Der Saal hatte nach dem Flur hin drei Thüren. An der Mittelthür standen die beiden Gendarmen und rückten sich zurecht, als sich der Vorsitzende des Komitees mit dem Glockenschlag sieben von seinem Platz erhob und die Sitzung für eröffnet erklärte. Dieser Vorsitzende war natürlich Oberförster Katzler, der heute, statt des bloßen schwarz-weißen Bandes, sein bei St. Marie-aux-Chsnes erworbenes Eisernes Kreuz in Substanz eingeknöpft hatte. Neben ihm saßen Superintendent Koseleger und Pastor Lorenzen, an der linken Schmalseite Krippenstapel, an der rechten Schulze Kluckhuhn, letzterer auch dekoriert, und zwar mit der Düppelmedaille, trotzdem er bei Düppel in der Reserve gestanden. Er scherzte gern darüber und sagte, während er seine beneidenswerten

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