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Neöer Land und Meer.
Zähne zeigte: „Ja, Kinder, so geht es. Bei Alfen I war ich, aber bei Düppel war ich nich, und dafür Hab' ich nu die Düppelmedaille."
Schulze Kluckhuhn war überhaupt eine humoristisch angeflogene Persönlichkeit, Liebling des alten Dubslaw, und trat immer, wenn sich die alten Kriegerbundleute von sechsundsechzig und siebzig aufs hohe Pferd setzen wollten, für die von vierundsechzig ein. „Ja, vierundsechzig, Kinder, da fing es an. Und aller Anfang ist schwer. Anfängen ist immer die Hauptsache ; das andre kommt dann schon wie von selbst." Ein alter Globsower, der bei Spichern mitgestürmt und sich durch besondere Tapferkeit hervorgethan hatte, war denn auch, bloß weil er einer von Anno siebzig war, ein Gegenstand seiner besonderen Bemängelungen. „Ich will ja nich sagen, Tübbecke, daß es bei Spichern gar nichts war; aber gegen Düppel (wenn ich auch nicht mit dabei gewesen), gegen Düppel war es gar nichts. Wie war es denn bei Spichern, wovon du so viel red'st, als ob sich vierundsechzig daneben verstecken müßte? Bei Spichern, da waren Menschen oben, aber bei Düppel, da waren Schanzen oben. Und ich sage dir, Schanzen mit'm Turm drin. Da pfeift es ganz anders. Das heißt, von Pfeifen war schon eigentlich gar keine Rede mehr." Eine Folge dieser Anschauung war es denn auch, daß in den Augen Kluckhuhns der Pionier Klinke, der bei Düppel unter Opferung seines Lebens den Pallisadenpfahl von Schanze drei weggesprengt hatte, der eigentliche Held aller drei Kriege war und alles in allem nur einen Rivalen hatte. Dieser eine Rivale stand aber drüben auf Seite der Dänen und war überhaupt kein Mensch, sondern ein Schiff und hieß Rolf Krake. „Ja, Kinder, wie wir da so 'rüber gondelten, da lag nun das schwarze Biest immer dicht neben uns und sah aus wie 'n Sarg. Und wenn es gewollt hätte, so wär' es auch alle mit mit uns gewesen und bloß noch plumps in den Alsen- sund. Und weil wir das wußten, schossen wir immer drauf los, denn wenn einem so zu Mute ist, dann schießt der Mensch immer zu."
Ja, Rolf Krake war eine fatale Sache für Kluckhuhn gewesen. Aber dasselbe schwarze Schiff, das ihm damals so viel Furcht und Sorge gemacht hatte, war doch auch wieder ein Segen für ihn geworden, und man durfte sagen, sein Leben stand seitdem im Zeichen von Rolf Krake. Wie Gundermann immer der Sozialdemokratie das „Wasser abstellen" wollte, so verglich Kluckhuhn alles Zur Sozialdemokratie Gehörige mit dem schwarzen Ungetüm im Alsen- sund. „ Ich sag' euch, was sie jetzt die soziale Revolution nennen, das liegt neben uns wie damals Rolf Krake; Bebel wartet bloß, und mit eins fegt er dazwischen."
Schulze Kluckhuhn war in der ganzen Stechliner Gegend sehr angesehen, und als er jetzt mit seiner Medaille so dasaß, dicht neben Koseleger, war er sich dessen auch wohl bewußt. Aber gegen Krippenstapel, den er als Schulpauker und Bienenvater eigentlich nicht für voll ansah, kam er bei dieser Gelegenheit doch nicht an; Krippenstapel hatte heute ganzseinen großen Tag, so sehr, daß selbst Kluckhuhn seinen Ton herabstimmen mußte.
Katzler, ein entschiedener Nichtredner, begann, als er sich mit seinem Notizenzettel, auf dem verschiedene Satzanfänge standen, erhoben hatte, mit der Versicherung, daß er den so zahlreich Anwesenden, unter denen vielleicht auch einige Andersdenkende seien, für ihr Erscheinen danke. Sie wüßten alle, zu welchem Zweck sie hier seien. Der alte Kort- schädel sei tot, „er ist in Ehren hingegangen", und es handle sich heute darum, dem alten Herrn von Kortschädel im Reichstag einen Nachfolger zu geben. Die Grafschaft habe immer konservativ gewählt; es sei Ehrensache, wieder konservativ zu wählen. „Und ob die Welt voll Teufel wär'." Es liege der Grafschaft ob, dieser Welt des Abfalls zu Zeigen, daß es noch „Stätten" gebe. Und hier sei eine solche Stätte. „Wir haben, glaub' ich," so schloß er, „niemand an diesem Tisch, der das Parlamentarische voll beherrscht, weshalb ich bemüht gewesen bin, das, was uns hier zusammengeführt hat, schriftlich niederzulegen. Es ist ein schwacher Versuch. Jeder thut, so viel er kann, und der Brombeerstrauch hat eben nur seine Beeren. Aber auch sie können den durstigen Wanderer erfrischen. Und so bitte ich denn unfern politischen Freund, dem wir außerdem für die Erforschung dieser Gegenden so viel verdanken, ich bitte Herrn Lehrer Krippenstapel, uns das von mir Aufgesetzte Vorleser: zu wollen. Ein pro memoria. Man kann es vielleicht so nennen."
Katzler, unter Verneigung, setzte sich wieder, während sich Krippenstapel erhob. Er blätterte wie ein Rechtsanwalt in einer Anzahl von Papieren und sagte dann: „Ich folge der Aufforderung des Herrn Vorsitzenden und freue mich, berufen zu sein, ein Schriftstück zur Verlesung zu bringen, das unser aller Gefühle — ich glaube von den Einschränkungen, die unser Herr Vorsitzender gemacht, absehen zu dürfen — unser aller Gefühle zum Ausdruck bringt."
Und nun setzte Krippenstapel seine Hornbrille auf und las. Es war ein ganz kurzes Schriftstück und enthielt eigentlich dasselbe, was Katzler schon gesagt hatte. Die Betonungen Krippenstapels sorgten aber dafür, daß der Beifall reichlicher war, und daß die Schlußwendung „und so vereinigen wir uns denn in dem Satze: was um den Stechliu herum wohnt, das ist für Stechliu," einen ungeheuren Beifall fand. Pyterke hob seinen Helm und stieß mit dem Pallasch auf, während Uncke sich umsah, ob doch vielleicht ein einzelner Uebelwollender zu notieren sei. Nicht um ihn direkt anzuzeigen, aber doch zur Kenntnisnahme. Brose, der (wohl eine Folge seines Berufs) unter dem ungewohnten langen Stillstehen gelitten hatte, nahm im Vorflur, wie zur Niederkämpfung seiner Beinnervosität, eine Art Probegeschwindschritt rasch wieder auf, während Kluckhuhn sich von seinem Stuhl erhob, um Katzler erst militärisch und dann unter gewöhnlicher Verbeugung zu begrüßen, wobei seine Düppelmedaille dem Katzler- schen Eisernen Kreuz entgegenpendelte. Nur Koseleger und Lorenzen blieben ruhig. Um des Superintendenten Mund war ein leiser ironischer Zug.
Dann erklärte der Vorsitzende die Sitzung für geschlossen; alles brach aus, und nur Nucke sagte zu