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Ueber Land und Weer.
Brose: „Wir bleiben noch, Brose; morgen wird es Lauferei genug geben."
„Denk' ich auch. Aber lieber laufen als hier fo stille stehen."
Draußen, unter dem Gezweig der alten Linden, standen mehrere Kaleschewagen, aber der des Superintendenten fehlte noch, weil Koseleger eine viel längere Sitzung erwartet und darauf hin feinen Wagen erst zu Zehn Uhr bestellt hatte. Bis dahin war noch eine hübsche Zeit; der Superintendent indessen schien nicht unzufrieden darüber, und seines Amtsbruders Arm nehmend, sagte er: „Lieber Lorenzen, ich muß mich, wie Sie sehen, bei Ihnen Zu Gaste laden. Als Unverheirateter werden Sie, so hoffe ich, über die Störung leicht hinkommen. Die Ehe bedeutet in der Regel Segen, aber die Nichtehe hat auch ihre Segnungen. Unsre guten Frauen entschlagen sich dieser Einsicht, und dieser unbedingte Glauben an sich und ihre Wichtigkeit hat oft was Rührendes."
Lorenzen, der sich — bei völliger Würdigung der Gaben seines ihm Vorgesetzten und zugleich geru einen spöttischen Ton anschlagenden Amtsbruders — im allgemeinen nicht viel aus ihm machte, war diesmal doch mit allem einverstanden und nickte, während sie, schräg über den Platz fort, auf die Pfarre zuschritten.
„Ja, diese Einbildungen," fuhr Koseleger fort, zu dessen Lieblingsgesprächeu dies Thema gehörte. „Gewiß ist es richtig, daß wir samt und sonders von Einbildungen leben, aber für die Frauen ist es das tägliche Brot. Sie maltraitieren ihren Mann und sprechen dabei von Liebe, sie werden maltrai- tiert und sprechen erst recht von Liebe; sie sehen alles so, wie sie's sehen wollen, und vor allem haben sie ein Talent, sich mit Tugenden auszurüsten (erlassen Sie mir, diese Tugenden aufzuzählen), die sie durchaus nicht besitzen. Unter diesen meist nur in der Vorstellung existierenden Tugenden befindet sich auch die der Gastlichkeit, wenigstens Hierlandes. Und nun gar unsre Psarrmütter! Eine jede hält sich für die heilige Elisabeth mit den bekannten Broten im Korb. Haben Sie übrigens das Bild aus der Wartburg gesehen? Unter allen Schwind- schen Sachen steht es mir so ziemlich obenan. Und in Wahrheit, um auf unsre Psarrmütter zurückzukommen, liegt es doch so, daß ich mich bei pastor- lichen Junggesellen immer am besten aufgehoben gefühlt habe."
Lorenzen lachte. „Wenn Sie nur heute nicht widerlegt werden, Herr Superintendent."
„Ganz undenkbar, lieber Lorenzen. Ich bin noch nicht lang in dieser Gegend, in meinem guten Quaden-Hennersdorf da drüben, aber wenn auch nicht lange, so doch lange genug, um zu wissen, wie's hier herum aussieht. Und Ihr Renommee... Sie sollen so was von einein Feinschmecker an sich haben. Kann ich mir übrigens denken. Sie sind Aesthetikus, und das ist man nicht ungestraft, am wenigsten in Bezug auf die Zunge. Ueberhaupt das Aesthetische. Für manchen freilich ein Unglück. Das Haus hier vor uns ist wohl Ihr Schulhaus? Weißgestrichen und kein Fetzchen Gardine, das ist immer
'ne preußische Schule. So wird bei uns die Volksseele für das, was schön ist, groß gezogen. Aber es kommt auch was dabei heraus! Mitunter wundert's mich nur, daß sie die Bauten aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. nicht mehr konservieren. Eigentlich war das doch das Ideal. Graue Wand, hundert Löcher drin und unten großes Hauptloch. Und natürlich ein Schilderhaus daneben. Letzteres die Hauptsache. Schade, daß so was verloren geht. Uebrigens rettet hier der grüne Staketenzaun das Ganze. . . Wie heißt doch der Lehrer?"
„Krippenstapel."
„Richtig, Krippenstapel. Katzler nannte ihn ja während der Sitzung mit einer Art Aplomb. Ich erinnere .mich noch, wie mir der Name wohlthat, als ich ihn das erste Mal hörte. So heißt nicht jeder. Wie kommen Sie mit dem Manne aus?"
„Sehr gut, Herr Superintendent."
„Freut mich aufrichtig. Aber es muß ein Kunststück sein. Er hat ein Gesicht wie 'ne Eule. Dabei so was Steifleinenes und Zugleich Selbstbewußtes. Der richtige Lehrer. Meiner in Quaden-Hennersdorf war ebenso. Aber er läßt nun schon ein bißchen nach."
Unter diesen Worten waren sie bis an die Pfarre gekommen, in der man, ohne daß ein Bote vorans- geschickt worden wäre, doch schon wußte, daß der Herr Superintendent mit erscheinen würde, — nur wenige Minuten, die trotzdem für Frau Kulicke (eine Lehrerswitwe, die Lorenzen die Wirtschaft führte) ausgereicht hatten, alles in Schick und Ordnung zu bringen. Auf dem länglichen Hausflur, an dessen äußersten! Ende man gleich beim Eintreten die blinkblanke Küche sah, brannten ein paar Helle Parasfin- kerzen, während rechts daneben, in der offenstehenden Studierstube, eine große Lampe mit grünein Bilderschirm ein gedämpftes Licht gab. Lorenzen schob den Sofatisch, darauf Zeitungen hoch aufgeschichtet lagen, ein wenig zurück und bat Koseleger, Platz zu nehmen. Aber dieser, eben jetzt das große Bild bemerkend, das in beinahe reicher Umrahmung über dem Sofa hing, nahm den ihm angebotenen Platz nicht gleich ein, sondern sagte, sich über den Tisch vorbeugend: „Ah, gratuliere, Lorenzen. Kreuzabnahme; Rubens. Das ist ja ein wunderschöner Stich. Oder eigentlich Aquatinta. Dergleichen wird hier wohl im siebenmeiligen Umkreis nicht oft betroffen werden, nicht einmal in dem etwas herausgepufften Rheinsberg; in Nheinsberg war man für Watteausche Reifrockdamen ans einer Schaukel, aber nicht für Kreuzabnahmen und dergleichen. Und stammt auch sicher nicht aus dem sogenannten Schloß Ihres liebenswürdigen alten Herrn drüben, Niesenkate mit Glaskugel davor. Ach, wenn ich diese Glaskugeln sehe. Und dann das hier! Wissen Sie, Lorenzen, das Bild ruft mir eine schöne Stunde meines Lebens zurück, einen Reisetag, wo ich mit Großfürstin Wera vom Haag aus in Antwerpen war. Da sah ich das Bild in der Galerie. Gleich am Eingang. Waren Sie da?"
Lorenzen verneinte.
„Das wäre was für Sie. Dieser Rubens»