Heft 
(1897) 08
Seite
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Stcchkin.

Es heißt immer, daß er nur Flamänderinnen hätte malen können. Nun, das wäre wohl auch nicht das Schlimmste gewesen. Aber er konnte mehr. Sehen Sie den Christus. Und hier die Gestalt der Maria. Wohl jedem, der draußen war, und zu dem die Welt mal in andern Zungen redete! Hier blüht der Bilderbogen, Türke links, Russe rechts. Ach, Lorenzen, es ist traurig, hier versauern zu müssen."

Als er so gesprochen, ließ er sich, vor sich hin­starrend, in die Sofa-Ecke nieder, ganz wie in andre Zeiten verloren, und sah erst wieder auf, als ein junges Ding ins Zimmer trat, groß und schlank und blond, und Lorenzen verlegen und errötend etwas zuflüsterte.

Meine gute Frau Kulicke," sagte Lorenzen, läßt eben fragen, ob wir unfern Imbiß im Neben­zimmer nehmen wollend Ich möchte beinahe glauben, es ist das beste, wir bleiben hier. Es heißt zwar, ein Eßzimmer müsse kalt sein. Nun, das hätten wir nebenan. Ich persönlich finde jedoch das Tem­perierte besser. Aber ich bitte, bestimmen zu wollen, Herr Superintendent."

Temperiert. Mir aus der Seele gesprochen. Also wir bleiben, wo wir find . . . Aber sagen Sie mir, Lorenzen, wer war das entzückende Geschöpf? Wie ein Bild von Knaus. Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen. Wie alt ist sie denn?"

Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke."

Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden sind. Immer solche Menschenblüte zu sehn. Und sieb­zehn, sagen Sie. Ja, das ist das Eigentliche. Sechzehn hat noch ein bißchen den Eierschalen- und Einsegnungscharakter, und achtzehn ist schon wieder alltäglich. Achtzehn kann jeder sein. Aber siebzehn. Ein wunderbarer Mittelzustand. Und wie heißt sied"

Elfriede."

Auch das noch."

Lorenzen wiegte den Kopf und lächelte.

Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wissen nicht, wie gut Sie's haben in dieser Ihrer Waldpfarre. Was ich hier sehe, heimelt mich an, das ganze Dorf, alles. Wenn ich mir da beispielsweise den Tisch wieder vergegenwärtige, dran wir, drüben im Krug, vor einer halben Stunde gesessen haben, an der linken Seite dieser Krippenstapel (er sei, wie er sei) und an der rechten Seite dieser Rolf Krake. Das sind ja doch lauter Größen. Denn das Groteske hat eben auch seine Größen und nicht die schlechtesten. Und dazu dieser Kahler mit seiner Ermyntrud. All das haben Sie dicht um sich her und dazu dies Kind, diese Elfriede, die hoffentlich nicht Kulicke heißt, sonst bricht freilich mein ganzes Begeisterungs­gebäude wieder zusammen. Und nun nehmen Sie mich, Ihren Superintendenten, das große Kirchen­licht dieser Gegenden! Alles nackte Prosa, wider­haarige Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht verzeihen können, daß ich im Haag war und mit einer Großfürstin über Land fahren konnte. Glauben Sie mir, Großfürstinnen, selbst wenn sie Mängel haben (und sie haben Mängel), sind mir immer noch lieber als das Landgewächs von Quaden-Henners- dorf, und mitunter ist mir zu Mut, als gäbe es keine Weltordnung mehr."

Aber Herr Superintendent..."

Ja, Lorenzen, Sie setzen ein überraschtes Ge­sicht auf und wundern sich, daß einer, für den die hohe Klerisei so viel gethan und ihn zum Super­intendenten in der gesegneten Mittelmark und der noch gesegneteren Grafschaft Nuppin gemacht hat, Sie wundern sich, daß solch zehnmal Glücklicher solchen Hochverrat redet. Aber bin ich ein Glück­licherd Ich bin ein Unglücklicher. . ."

Aber Herr Superintendent..."

. . Und möchte, daß ich eine Huudertund- fünfzig-Seelen-Gemeinde hätte, sagen wir auf dem ,toten Mamck oder in der Tuchler Heide. Sehen Sie, dann wär' es vorbei, dann wüßt' ich bestimmt: ,du bist in den Skat gelegtll Und das kann unter Umständen ein Trost sein. Die Leute, die Schiff­bruch gelitten und nun in einer Isolierzelle sitzen und Tüten kleben oder Wolle zupfen, das find nicht die Unglücklichsten. Unglücklich find immer bloß die Halben. Und als einen solchen habe ich die Ehre mich Ihnen vorzustellen. Ich bin ein Halber, viel­leicht sogar in dem, worauf es ankommt; aber lassen wir das, ich will hier nur vom allgemein Menschlichen sprechen. Und daß ich auch in diesem Menschlichen ein Halber bin, das quält mich. Ueber das andre käm' ich vielleicht weg."

Lorenzens Augen wurden immer größer.

Sehen Sie, da war ich also verzeihen Sie, daß ich immer wieder darauf zurückkomme da war ich also mit siebenundzwanzig im Haag und kam in die vornehme Welt, die da zu Hause ist. Und da war ich denn heut in Amsterdam und morgen in Scheveningen und den dritten Tag in Gent oder in Brügge. Brügge, Reliquienschrein, Hans Mein­ung, so was müßten Sie sehn. Was sollen uns die ewigen Markgrafen oder gar die faule Grete? Mancher, ich weiß wohl, ist zum Eremiten geboren. Ich aber nicht. Ich bin von der andern Seite; meine Seele hängt an Leben und Schönheit. Und nun spricht da draußen all dergleichen Zu einem, und man tränkt sich damit und hat einen Ehrgeiz, nicht einen kindischen, sondern einen echten, der höher hinauf will, weil man da wirken und schaffen kann, für sich gewiß, aber auch für andre. Danach dürstet einen. Und nun kommt der Becher, der diesen Durst stillen soll. Und dieser Becher heißt Quaden-Henners- dorf. Das Dorf, das mich umgiebt, ist ein großes Bauerndorf, aufgesteifte Leute, geschwollen und hart­herzig, und natürlich so trocken und trivial, wie die Leute hier alle find. Und noch stolz darauf. Ach, Lorenzen, immer wieder, wie beneide ich Sie!"

Während Koseleger noch so sprach, erschien Frau Kulicke. Sie schob die Zeitungen Zurück, um zwei Couverts legen zu können, und nun brachte sie den Rotwein und ein Cabaret mit Brötchen. In dünn­geschliffene große Gläser schenkte Lorenzen ein, und die beiden Amtsbrüder stießen anauf bessere Zeiten". Aber sie dachten sich sehr Verschiedenes dabei, weil sich der eine nur mit sich, der andre nur mit andern beschäftigte.

Wir könnten, glaub' ich," sagte Lorenzen, neben den ,besseren Zeiten^ noch dies und das leben