Heft 
(1897) 08
Seite
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Ghinesische "Beamte.

Beamtenlaufbahn hineingelangen zn lassen, aber mehr als ! sonst in der ganzen Welt stehen gerade bei den Mandarinen Theorie und Praxis im Widerspruch. Sehen wir, wie ^ dieser Widerspruch entsteht, indem wir gleichzeitig die Ent- ! stehungsgeschichte eines chinesischen Mandarins von den ersten Anfängen seiner Laufbahn an verfolgen.

Wer Mandarin werden will, muß zunächst die beiden ersten Staatsprüfungen bestanden haben, sonst kann er nicht für den kleinsten Posten ausgewählt werden. Doch sei gleich im Anfang bemerkt, daß der Name Mandarin in China keineswegs den Beamten bezeichnet. Der Name ist von den Portugiesen, die zuerst mit den Chinesen in Ver­bindung kamen, erfunden worden. Der Rang eines Be­amten in China wird mitUvum" bezeichnet. Wenn wir trotzdem den Namen Mandarin weiter beibehalten, so geschieht es, weil das Wort nun einmal in Europa ge­läufiger ist.

Wer sich den Staatsprüfungen unterziehen will, muß natürlich vorher sich gewisse Kenntnisse aneignen. Es giebt aber in ganz China keine öffentlichen Schulen in unserm Sinne. An ihre Stelle treten Privatschulen. Dort lernen die Kinder der Gebildeten ein paar tausend chinesische Schrift­zeichen lesen und auf Papier malen; außerdem erhalten sie religiösen Unterricht. Von irgend welchen exakten Wissenschaften, wie sie in unfern Schulen gelehrt werden, ist nicht die Rede. Man kennt in diesen Schulen weder Geographie noch Geschichte oder fremde Sprachen. Von dem, was in der ganzen Welt vorgeht, von neuen Ent­deckungen und Erfindungen wird kein Wort erwähnt. Haben die Schüler diese Privatschulen absolviert, so kommen die­jenigen, die sich den Staatsprüfungen unterziehen wollen, in eine andre Privatschule, in der nunmehr die eigentliche Vorbereitung beginnt. Es sind aber nicht immer etwa Kinder, die diese höheren Vorbereitungsschulen besuchen, man findet vielmehr auch Leute in gereistem Alter, die sich erst durch ein arbeitsreiches Leben das Geld verdienten, um nun Unterricht zu nehmen und die Kosten für die Prü­fungen und den Lebensunterhalt zu bestreiten. So sind vom Knaben bis zum Greise alle Altersstufen in dieser zweiten Schule vertreten. Hier wird in nichts unterrichtet als in Litteraturgeschichte. Die Chinesen, die auf eine vieltausend­jährige Geschichte zurückblicken, haben eine große Anzahl berühmter Dichter und Philosophen, die zu denKlassikern" des Landes zählen. Die Schriften dieser Klassiker muß der Schüler vollständig auswendig lernen und über jedes Wort, über jede Wendung, über jedes Gleichnis, jedes sprachliche Bild Auskunft geben können. Der ganze Unter­richt erstreckt sich also auf ein ununterbrochenes Auswendig­lernen von Werken uralter Schriftsteller, die in gar keiner Beziehung zu den Dingen der Neuzeit stehen. Nichts andres als das, was diese Klassiker betrifft, wird in den Schulen gelehrt, und nichts andres wird auch für die Staatsprüfungen verlangt. Daher die schreckliche Unbildung selbst der höchsten Beamten, der vornehmsten Männer in allen Dingen, die nicht chinesisch sind. Wenn nun schon die gebildeten, die höchststehenden Chinesen so bar alles Wissens sind über das, was außerhalb Chinas geschieht, wie sieht es erst bei den vielen Millionen der untersten Volksschichten aus! So uur ist es zu erklären, daß das Volk gläubig die Versicherungen der Mandarinen hinnimmt, das Christentum schreibe seinen Anhängern vor, kleine Kinder zu kochen und Oel aus ihnen zn pressen, weil es des letzteren zu religiösen Handlungen bedürfe. Wahr­scheinlich glauben die Mandarinen, die solchen Unsinn durch Plakate und Flugschriften veröffentlichen, selbst an das, was sie mitteilen. Die Folgen einer solchen Veröffentlichung sind aber immer eine Niedermetzelung der Missionare oder der für das Christentum gewonnenen Eingeborenen.

Glaubt der Schüler, daß er die Klassiker genügend

kennt, um sich der Staatsprüfung zu unterwerfen, so meldet er sich für die nächste Prüfung, die immer in der Distrikts­hauptstadt abgehalteu wird. Diese Prüfung findet zweimal innerhalb dreier Jahre statt, und viele Tausende von Kan­didaten melden sich dazu. Die Prüfung ist verhältnismäßig leicht und besteht nur in einer schriftlichen Arbeit. Die Examinatoren, die selbst den höchsten Grad der Wissenschaft erlangt haben müssen, prüfen die vielen tausend Arbeiten, die ihnen eingereicht worden sind, und wählen endlich un­gefähr den zehnten Teil als beste Leistungen aus. Die Verfertiger dieser Arbeiten erhalten den Titel Lin-k^ui, das heißt knospendes Genie, und damit das Recht, sich zur zweiten Prüfung vorzubereiten, beziehungsweise zn melden. Es kann also immer nur ein Zehntel der Schüler in der Prüfung bestehen. Die andern neun Zehntel lassen sich aber nicht äbschrecken. Sie besuchen noch einmal die Vor­bereitungsschule, und manche thun dies zwanzig-, dreißig- inal hintereinander, so daß es Vorkommen soll, daß Sohn, Vater und Großvater gleichzeitig in diese erste Prüfung hineingehen. Die zweite Prüfung wird in der Provinz­hauptstadt abgehalteu und findet nur alle drei Jahre statt. Die Examinatoren werden vom Kaiser sxtra ernannt. Außerdem wohnen alle höchsten Beamten der Provinz der Prüfung bei. In jeder Provinzialhauptstadt giebt es ge­wöhnlich außerhalb der Stadt einen großen Platz, der von einer hohen Mauer umgebeu ist. Nur zwei Thore, die einander gegenüberliegen, befinden sich in den Mauern, und durch die Thore führt eine Straße, die den Platz in zwei gleichmäßige Hälften teilt. Zur Rechten und zur Linken der Straße stehen, bis an die Mauer reichend, lange, niedrige, stallartige Gebäude, und zwar so dicht nebeneinander, daß immer nur eine Gasse von ungefähr zwei Schritten zwischen zwei solch langen Schuppen bleibt. Jeder Schuppen ist wieder in eine große Zahl schmaler Zellen eingeteilt, so daß im ganzen aus dein Prüfungsplatz 1214000 der­artiger Zellen entstehen. Jeder Kandidat wird in eine solche Zelle gesteckt, die nur eine Thür und in dieser einen Ausschnitt hat, durch den Licht und Luft hineindringen können. Die Zellen haben außerdem zwei Bretter, eines, um daraus zu sitzen, ein andres, um darauf zu schreiben, und der Kandidat bringt in diese Zelle Kleidungsstücke, Lebens­mittel und Betten hinein, denn die ersten drei Tage darf er die Zelle nicht einen Augenblick verlassen. Jeder Insasse bekommt schriftlich seine Aufgaben zugestellt, und gewöhnlich enthalten die kleinen roten Zettel, die man dem Kandidaten in seine Zelle hineinreicht, vier Themata, drei für prosaische Arbeiten und eines für ein Gedicht. Keine Arbeit darf mehr als vierhundert und weniger als dreihundert Schrist- zeichen enthalten. Korrekturen dürfen nur in sehr be­scheidenem Maße angebracht werden. Nach drei Tagen werden die Arbeiten aus den Zellen herausgeholt, und die Kandidaten dürfen nun eine Nacht außerhalb des Prüfungs­hofes schlafen. Dann werden sie wieder auf drei Tage eingesperrt und haben während dieser Zeit fünf Arbeiten anzufertigen. Diese sechs Tage sind körperlich und geistig so anstrengend, daß sehr oft Kandidaten, besonders Greise, die sich der Prüfung unterziehen, an Erschöpfung und Ueberanstrengung sterben.

Theoretisch sind alle Vorkehrungen getroffen, um das Abschreiben zu verhüten, um zu verhindern, daß die Kandidaten untereinander in Verbindung treten und sich gegenseitig bei den Arbeiten aushelfen. Die Wächter indes, die in den Gassen auf- und abschreiten und die Kandidaten überwachen, sind, wie jedermann in China, der Bestechung zugänglich. Das Reglement für die Prüfung der Arbeiten ist außerordentlich umfang­reich und streng. Es ist so abgefaßt, daß bei seiner wirklichen Handhabung weder ein Unterschleif noch eine Bevorzugung eines Kandidaten Vorkommen kann. Das