Heft 
(1897) 08
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Weber Land und Meer.

Gegenteil aber trifft ein. Durch Bestechung kommt ein Kandidat, der eine schlechte Arbeit liefert, weiter als ein Kandidat, der eine gute Arbeit liefert, ohne den Examina­toren etwas anzubieten, und ist der Prüfling der Sohn eines hochstehenden Mannes, fo wird man natürlich ihm sehr durch die Finger sehen und seine Arbeit für reif er­klären, selbst wenn sie nichts taugt. Die Arbeiten werden sehr sorgfältig gesichtet, das heißt angeblich. Es kann nämlich nur ein verhältnismäßig geringer Prozentsatz der Kandidaten die Prüfung bestehen, weil jeder Provinz nur eine bestimmte Zahl von höheren Graden zugeteilt ist. Während in der ersten Prüfung von tausend Kandidaten hundert durchkommen konnten, können hier bei der zweiten Prüfung nur noch siebzig von tausend die Prüfung bestehen, weil nur für so viele Diplome vorhanden sind. Die Glück­lichen, die das Examen zu Recht oder Unrecht bestanden haben, erhalten den Titel Olliiä-86llUv,beförderter Mann". Wer die Prüfung nicht bestanden hat, meldet sich sofort für die nächste. Er muß dann, je nach der Qualität seiner Arbeit, noch ein oder zwei Jahre warten, bis er sich der nächsten Prüfung unterziehen kann. Diejenigen, denen die Prüfung geglückt ist, haben nun das Recht, sich um einen Beamtenposten zu bewerben, das heißt, wenn eine Vakanz vorhanden ist. Es kann jahrelang, ja jahrzehntelang dauern, ehe der Kandidat ein solches Amt erhalt. Er wird rascher befördert, wenn er noch die dritte Prüfung ablegt, durch die er ein Bsan-tse, das heißtfertiger Gelehrter" wird. Diese Prüfung findet nur alle drei Jahre, und zwar im Frühjahr nach den Provinzprüfungen, in Peking selbst statt. Die Kandidaten haben insofern eine Vergünstigung, als sie für den Auf­enthalt in Peking nichts zu bezahlen brauchen, denn die Kosten trägt der Staat; sie müssen aber aus der Provinz die oft sehr weite und kostspielige Reise unternehmen, und die meisten Kandidaten würden gar nicht im stände sein, die Reisekosten zu bezahlen, wenn sie nicht vorher zu Wucher­zinsen Gelder aufuähmen. Sie hoffen, dieses Geld bald wieder zu bezahlen, sobald sie erst im Amte sind und sich durch Erpressungen, Betrügereien und Unterschlagungen be­reichern können.

Natürlich werden diejenigen Kandidaten, welche die dritte Prüfung bestanden haben, rascher befördert als die­jenigen, die nur die zwei erstell Prüfungen hinter sich haben, alle aber müssen mit der neunten Rangstufe beginnen. Die neun Rangstufen giebt es sowohl bei der Zivilverwal­tung als bei der Armee und der Flotte. Da wir nur die Beamten schildern wollen, halten wir uns hier an die Zivilverwaltung und führen im nachfolgendeil die Tiere an, die jeder Klasse als Abzeichen verliehen sind. Die neunte Klasse hat eine Elster, und die Tiere für die andern Klassen aufwärts bis zur ersten sind: Wachtel, Ente, Reiher, Silberfasan, Wildgaus, Pfau, Goldfasan und Kranich. Das Bild des entsprechenden Tieres trägt der Beamte an seiner Kleidung auf der Brust und aus dem Rücken, und zwar ist es in bunter Seide aus ein besonderes, ungefähr einen Ouadratfuß großes Stück Seide gestickt. Bei Armee und Marine sind die Rangtiere von der neunten hinauf zur ersten Klasse folgende: Rhinozeros, Seehund, Waschbär, Tigerkatze, Bär, Tiger, Leopard, Löwe und Nashorn.

Nach der Theorie geben die chinesischen Gesetze für die Anstellung der Mandarinen sehr strenge Bestimmungen. Beamter kann nur derjenige von den Geprüften werden, der einer ehrenhaften Kaste angehört. Die Söhne, Enkel llnd Urenkel von Barbieren, Schauspielern und Schiffs­knechten sind znm Beispiel unehrlich und sollen niemals Mandarine werden. Kein Mandarin soll in seinem Hei­matsbezirk angestellt werden, damit er nicht seine Ver­wandten und Freunde begünstigt, er soll auch nie unter seinen Untergebenen einen Verwandten haben, damit dieser

nicht bevorzugt wird. Er soll keine Frau heirateil, die unter seinem Stande ist, und Ehen mit Tänzerinnen, Schallspielerinnen und Sängerinnen sind nicht nur den Mandarinen, sondern auch ihren Kindern und Enkeln streng untersagt. Der Mandarin soll fleißig sein, soll mit Un­parteilichkeit verfahreil und nicht einmal in einem Falle Richter sein, wo ein entfernter Verwandter eines Ver­wandten seiner Frau beteiligt ist. Er soll einen untadeligen Wandel führen, in und außer Dienst sich als Ehrenmann verhalten, unbestechlich sein, das Wohl seiner Untergebenen wahrnehmen, auf das pünktlichste und strengste die Befehle des Kaisers und seiner Vorgesetzten ausführen. Dafür ist ihin ein Gehalt versprochen, das mit den Rangstufen be­deutend wächst. Der Mandarin in der neunten Rangstufe hat allerdings nur 400 Mark jährlich, aber die Lebens­bedürfnisse in China sind fabelhaft billig. Das Höchst­gehalt, das in der ersten Rangstufe bezahlt, respektive ver­sprochen wird, beträgt 60 000 Mark, und zwischen diesem Höchstgehalt und dem Mindestgehalt von 400 Mark bewegen sich die Gehälter der angestellten Beamten. Nun wird das Gehalt aber sehr unregelmäßig gezahlt, in vielen Fällen gar nicht. Die Mandarine, welche die Auszahlung der Gehälter an ihre Unterbeamten zu besorgen haben, stecken den größten Teil dieser Summen in die eigne Tasche und zahlen nur Bruchteile des Gehaltes aus; der Beamte hat Schulden von früher, und er muß jetzt noch die höher gestellten Beamten in der Distriktshauptstadt und der Provinzhauptstadt, vor allem aber die in Peking bestechen, um befördert zu werden, und so bleibt dem Mandarin nichts übrig, als selbst ein Gauner und Lump zu werden. Er unterschlägt eingehende Gelder, vor allein die Geld­strafen, die er verhängt. Er läßt sich bestechen, er be­trügt, er erpreßt, er erhebt weit mehr Stenern, als der Staat verlangt, und auf diese Weise kommt er allmählich zu Vermögen und dadurch zu höheren Aemtern und zu Anseheu.

In den letzten Jahrzehnten, in denen die Regierung viel mit Geldmangel zu kämpfen hatte, sind Aemter überhaupt für Geld käuflich geworden. Man verlangte früher, daß die Käufer wenigstens das zweite Staats­examen bestanden hatten, und dann verkaufte man ihnen zu hohen Summen gewisse Aemter, welche die Käufer dazu benutzten, um nun auf unehrliche Weise Geld zu verdienen. In letzter Zeit hat man sich aber dazu entschlossen, au reiche Leute derartige Aemter zu verkaufen, ohne daß sie die Staatsprüfung bestanden hätten, wenn sie nur gehörig bezahlten. Das; derartige Leute erst recht das Geld, das sie für das Amt verauslagt haben, mit Wucherzinsen wieder Heraus­wirtschaften wollen, ist selbstverständlich. Und gerade diese Art von Beamten ist auch allen Neuerungen abhold, ge­rade sie missen, daß es mit ihren Aemtern und mit der Aussicht, sich noch ein höheres, einträglicheres Amt zu kaufen, vorüber ist, sobald China der Kultur erschlossen wird, sobald Verhältnisse Angeführt werden, die nur einigermaßen den europäischen gleichen. Aber auch die andern Mandarine wissen es wohl, daß, wenn einmal ein andres System Platz greift, Leute nicht mehr auf Be­förderung zu rechnen haben, deren ganzes Wissen in der Kenntnis der alten Klassiker besteht. Sie fürchten, daß man dann nur Leute anstellen wird, die eine moderne Bildung besitzen, und daß sie, die jetzt in den Aemtern sind, diese verlieren würden. Deshalb sind die Manda­rine, besonders in der Provinz, die entschiedenen Gegner aller Neuerungen und die Todfeinde aller Fremden. Wenn auch die Regierung von den besten Absichten beseelt wäre und der Kaiser und seine Umgebung es versuchen sollten, China der europäischen Kultur zu erschließen, so leisten diese Mandarine aktiven und passiven Widerstand, denn sie fürchten für die Zukunft ihrer Kinder und Verwandten, und