vr. Gaul Schlenther.
303
sie selbst Hetzen die Bevölkerung gegen die Fremden, seien es Missionare oder Kaufleute, auf.
Der Mandarin kann, wenn er im Dienst ist, auch noch Auszeichnungen erhalten, ohne daß er in eine höhere Rangstufe übergeht, ähnlich wie man bei uns Orden erhält. So kann ihm zum Beispiel eine Krähenfeder verliehen werden, die er auf seiner schwarzen Kappe trägt, die wie eine europäische Mütze ohne Schirm aussieht und einen Deckel von großem Durchmesser hat. Anstatt der Krähenfeder können ihm auch Pfauenfedern verliehen werden: eine bis vier, ferner Pfauenfedern mit einem Auge, mit zwei Augen und mit drei Augen. Das höchste Ehrenzeichen ist die gelbe Reitjacke, das heißt die Berechtigung, bei Hofe, auf Reisen und im Dienst ein jackenartiges Gewand aus gelber Seide zu tragen. Außer der gelben Reitjacke (gelb ist die kaiserliche, die heilige Farbe der Chinesen) kann dem Würdenträger auch noch ein gelbes Fähnchen verliehen werden. Dieses dreieckige Fähnchen hält er dann bei Amtshandlungen und Besuchen bei Hofe in der rechten Hand. Es hat eine große Bedeutung, denn das gelbe Fähnchen verleiht dem Inhaber das Recht über Leben und Tod aller Chinesen, die im Range unter ihm stehen.
Daher giebt es in ganz China nur drei oder vier Großwürdenträger, denen das gelbe Fähnchen verliehen ist. Auch einen Orden besitzt China, den vom doppelten Drachen, er wird aber nur an Ausländer verliehen. Wenn auch nicht als Rangabzeichen, so doch als Vergünstigung werden den Mandarinen ferner verliehen: das Recht, eine gelbe Säbelscheide zu tragen, das Recht, an ihren Sänften rote Tragstangen zu haben, das Recht endlich, an der Kleidung Zobelpelz zu verwenden. Ein Mandarin darf niemals zu Fuß gehen, er muß stets in einer Sänfte getragen werden. Für die Sänfte braucht er nur vier Mann, reitet er aber, so muß er von zehn Personen begleitet sein; zwei Stallknechte müssen vor ihm reiten, und acht Sekretäre und Schreiber ihm folgen. Jeder Mandarin hat nämlich eine große Zahl von Beamten, die er allerdings aus feiner Tasche bezahlen muß. Aus Sparsamkeit stellt die Regierung viel zu wenig Mandarinen ein, und selbst wenn sich die ehrlichen Beamten — und es giebt, wenngleich höchst selten, auch solche in China — totarbeiten wollten, würden sie nicht mit den Geschäften fertig werden. Sie müssen daher auf eigne Kosten Sekretäre und Gehilfen ! engagieren, und daß sich diese stets so verhalten, wie ihre Herren, das heißt, daß sie auf eigne Faust ebenfalls stehlen, betrügen und erpressen, wenn dies ihr Herr Vorgesetzter thut, ist selbstverständlich.
So wird es in China so lange eine Mißwirtschaft geben, solange es Mandarinen giebt. Niemals werden europäische Kultur und Gesittung, Industrie und Handel in dem Lande nach europäischen Begriffen eingerichtet werden können, wenn nicht der Widerstand der Mandarine gebrochen, nicht dieses verrottete Beamtentum beseitigt wird.
vr. Paul schlenther.
Du. A'aul Schlenther.
Paul Schlenther, der neu ernannte Direktor des Wiener Burgtheaters, ist am 20. August 1854 zu Insterburg in Ostpreußen als Sohn eines Apothekenbesitzers geboren. An den Universitäten Leipzig, Heidelberg, Berlin und Straßburg studierte er deutsche Sprache und Litteratur- geschichte, und nacheinander waren auf diesen Hochschulen die ersten Fachautoritäten seine Lehrer: Wilhelm Scherer, Karl Werder, Kuno Fischer, Erich Schmidt. Nachdem er Ende 1880 in Tübingen promoviert hatte, siedelte er nach Berlin über, sich ganz der litterarischen Thätigkeit widmend. Als Theaterrezensent debütierte er im „Deutschen Montagsblatt". Weiteren Kreisen wurde er bekannt durch seine 1883 veröffentlichte Schrift: „Botho von Hülsen und seine Leute", worin er scharfe Angriffe gegen die damalige Leitung der Königlichen Theater in Berlin richtete. An dramaturgischen Schriften folgten 1886 „Frau Gottsched und die bürgerliche Komödie", eine Er- Weiterung seiner Promotionsarbeit, und 1888 die „Dänische Schaubühne", Uebersetzungen der Lustspiele Holbergs. Inzwischen hatte er, zunächst als Kollege Theodor Fontanes, dann als dessen Nachfolger, für die „Vossische Zeitung" die Kritik über die bedeutendsten Berliner Theater übernommen, und gleich von vornherein fand seine schneidige , ungewöhnlich treffsichere Ausdrucksweise, die stets für den rechten Begriff auch das rechte Wort hatte, allgemeine Beachtung. Neben seiner kritischen Thätigkeit redigierte er zugleich die Sonntagsbeilage der „Vofsischen", ein in wissenschaftlichen und litterarischen Kreisen hochangesehenes Blatt. Daß Henrik Ibsen in Berlin schneller als anderswo zu der gebührenden Anerkennung gelangte, daran hatte Schlenther einen hervorragenden Anteil, und ein großes Verdienst erwarb er sich, indem er Gerhart Hauptmann die Pfade ebnete. In Gemeinschaft mit seinein Freunde Otto Brahm (heute Direktor des Deutschen Theaters in Berlin) begründete er die „Freie Bühne", einen Verein, dessen Leitung vor den Mitgliedern Stücke zur Aufführung brachte, die vor der Zensur nicht hätten bestehen können oder doch eine gereifte, von dem gewöhnlichen Premierenpublikum weit verschiedene Hörerschaft erforderten. Wenn auf der „Freien Bühne" auch manches zur Darstellung gelangte, was befremdete, ja hie und da Unwillen hervorrief, so kamen doch auch junge Talente zu Worte, die sonst, wer weiß wie lange, unbeachtet geblieben wären. Allen voran steht Gerhart Hauptmann, der von der „Freien Bühne" mit dem Drama „Vor Sonnenaufgang" seinen Ausgang nahm. Seiner Vorliebe für diesen Dichter ist Schlenther getreu geblieben. Schon 1896 verfaßte er eine Schrift über ihn, und kurz vor seiner Berufung nach Wien veröffentlichte er das umfassende Werk: „Gerhart Hauptmann, sein Lebensgang und seine Dichtung" (Berlin, S. Fischer). Zur Vervollständigung sei noch erwähnt, daß Schlenther auch eine „Genesis der Freien Bühne" (t889) veröffentlicht und eine Schrift über den