Heft 
(1897) 08
Seite
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Weber -Land und Meer.

Nimm auch 's Halstüchel um, daß dich nicht friert; ^ komm, daß ich's dir binde."

Deckt Euch lieber nicht aus, Mutter, es geht schon. Ihr hustet gleich wieder. Seht Ihr, seht Ihr!"

Ein heftiger Anfall schüttelte die verzehrte Gestalt der Kranken. Sie war blau im Gesicht geworden. Mühsam sprach sie:Geh nicht zu hoch; der Abend kommt früh, und bleib ja auf den Stegen."

Gut, gut, Mutter, sorgt Euch nur nicht."

Und hör, Bub!" Die Stimme der Mutter ward tiefer, die Augen geheimnisvoll, und der flackernde Blick bohrte sich tief in das Antlitz des Knaben.Nimm dich in acht vor der Schneesturmkarosse! Weißt ja hat acht Räder und vorn zwölf Pferde, schneeweiße Pferde wann's donnert am Fels, wann's herabfährt am Berg da flieh, da laufe! Wer die trifft, der ist verloren."

Weiß schon, Mutter, weiß ja." Bettelbub ging zur Thür. Grausen halb und halb Lust erfüllte ihn, wie jedes­mal, wenn er von der Schneesturmkarosse hörte. Gesehen hatte er sie noch kein einziges Mal.

Und höre!" Die Kranke rief ihn wieder zurück, in so dringlichem Tone jetzt, mit so stockender Stimme;Bleib auch am Ende nicht lange!"

Bettelbub schlich aus der Thür und schlich um die Hütte, um den Dorfkindern aus dem Wege zu gehen.

Bettelbub, Bettelbub geht ins Holz!" rief's aber schon hinter ihm her.Seht seine Lumpen, seht, seht! Möcht'st du nicht mit uns spielen? Möchtest du nicht? Möchtest du nicht? Wer geht wohl mit solch einem Bettelbub?" ^

Ich mach' mir nichts draus," murmelte Bettelbub vor sich hin, dem das Herz brach.Ich mach' mir nichts ! draus!" wiederholte er laut.Im Himmel Hab' ich die Engelein!"

Da lachten die Mädchen und Knaben im Chor.Hört ihr's? Hört ihr's? Gar noble Gespielen hat Bettelbub."

Hab' ich auch, Hab' ich auch!" Er sprach mit Not und würgte an seinen Thränen, während er schneller lief, ^ um seinen Peinigern zu entrinnen. Aber die Rangen ließen nicht ab nnd folgten ihm höhnend. Da, mit einer letzten , gewaltsamen Anstrengung, rot im Gesicht von unterdrücktem Schluchzen, fast schreiend vor Jammer und Zorn, drehte er sich voll seinen Quälern zu und gab seinen letzten Trumpf aus:Und die spielen mit euch nicht."

Dann aber stürzte er fort wie gepeitscht, um nicht das Hohngelächter zu höreil, das hinter ihm drein schallte, und um die Thränen zu verbergen, die unaufhaltsam über seine Backen rannen. Er stürzte den Berg hinauf, ohne sich um­zusehen, ohne still zu halten, atemlos. Ganz oben, wo ihn niemand mehr sah, kauerte er auf einen Stein nieder und weiilte und schluchzte:Ich wollt', ich wär' schon im Him­mel, ich wollt', ich wär' schon!"

Da siel ihm die Mutter ein, die auch verhöhnt war und auch verachtet, die sie die Bettlerin nannten, wie ihn den Bettelbub, die krank war und fror.

Durfte er die verlassen? Sie war die einzige, die für ihn Liebe fühlte, die allereinzige und er war ihr alles. Wenn ich dich nicht hätt', Bub!" sagte sie oft.

Nein, nein, das war nicht schön von ihm, daß er fort wollte von ihr und in den Himmel, bloß um es leichter zu haben. Hatte sie es denn leicht? Wie sie ausgesehen hatte zuletzt, so weiß, so weiß und die Nase so spitz er schauderte bei der Erinnerung. Wie mußte sie frieren!

Mutter!" sagte er,sollst sehen, ich bringe auch dicke Aeste, ganz dicke. Die Engelein Helsen mir tragen!"

Er machte sich eilig daran, seine Last zusammenzusuchen. Am Boden las er Reisig auf, uud mit dem Beil schlug er die dürren Aeste ab, die im Bereich seiner Hände waren. Es verging geraume Zeit, ehe der Packen voll wurde; und er mußte höher und höher hinauf. Endlich aber war es

^ genug. Er baud alles mit dem Holzstrick zusammen, hakte sorgsam den Haken ein, daß sich nichts löste, und nahm die Last aus den Kopf, so daß das dicke Ende der Aeste nach vorn kam. Da stützte er sie mit seinen beiden aufgehobenen Händen, und sie hingen ihm nun wie ein schräges Dach über den Rücken herunter.

Jetzt machte er sich auf den Heimweg. Aber die Aeste waren so laug, daß sie hinter ihm aus dem Boden schleiften, wenn es bergab ging, und so dick, daß er unter ihrem Ge­wicht keuchte.

Ich bleib' öfters stehen, um zu verschnaufen," sagte Bettelbub. Er mochte keinen einzigen abthun, er wollte den Buben unten schon zeigen, was er heimbringen konnte. Wenn ich nur hinunter komm', ehe es dunkelt."

Es dunkelte aber schon jetzt, am Nachmittag, denn drüben über den Bergen zog ein Wetter herauf. Das sah fast nach Schnee aus die Wolken waren so schwer geladen, so fest zusammengeballt. Und der Wind stieß jetzt von der Wetterseite und trieb die Wolken herüber über den See. Heran schob sich's, eine Wolkenwand vor der andern, dick­weiß, dickgrau, dickblau. Allen voran stob weißer Nebel

das war der Vorreiter.

Was für ein Wind sich erhob, wie es jagte und stiebte! Nun kani der Nebel, nun hüllte er Bettelbub ein. Es fing an zu schneien.

Jetzt galt es Eile!

Himmel, wie hoch er noch war, dort war erst die Schutzhütte! Ob er wohl in der Schutzhütte blieb,

! blieb und wartete, bis das Wetter vorbeizog? Er ver­warf den Gedanken sofort; die Wolken sahen zu bös aus,

! der Wind blies zu stark; das gab einen heftigen Schueefall, schneite vielleicht tagelang wie letzthin. Jetzt, bei Ausgang des Winters, konnte man darauf gefaßt sein. Und wie, wenn heute wirklich die Schneesturmkarosse umfuhr!

Nein, nur hinunter, hinunter!

Bettelbub achtete nicht länger auf Weg und auf Steg,

! denn sein Fuß sank schon ein in den Schnee, erst sohledick, dann schuhties. Die Flocken stoben ihm ins Gesicht und I blendeten seine Augen. Die Holzlast drückte schwer und schwerer auf Kopf und Schultern von all den Flocken, die daraus fielen. Aber Bettelbub wagte nicht, stille zu stehen und sie abzuschütteln, sank er jetzt doch schon bis über die Schenkel ein; und bei dem Nebel, der ihn umhüllte, kam es ihm vor, als habe er bereits die Richtung verloren.

Halt! Nun hob sich der Nebel ein wenig, wo war er?

Weg uud Steg nirgends! Nichts als ein Schneefeld dehnte sich vor ihm, das ringsum der dicke Nebel begrenzte.

Bettelbub zögerte. Wie, wenn er einsank, wenn er über Stock und Stein stolperte! Gleichviel, das Feld zu umgehen, währte zu lange.

Er machte aber kaum ein paar Schritte, da fiel ihn der Sturm au. Hu, wie es über das Schneefeld fegte! Von allen Seiten blies es, von allen Ecken. Es johlte und pfiff und heulte.

Und plötzlich da kam es herabgetost, herabgedonuert am Fels. Es klang und knatterte wie von tausend Hufen, es rollte uud rasselte wie von tausend Rädern, und die Felswände gaben den Schall zurück.

Bettelbub blickte sich um, das Blut erstarrte in seinen Adern, in den Ohren brauste es ihm.Herrgott im Himmel, die Schneesturmkarosse!"

Wo jetzt sich bergen? wo sich verstecken? wohin sich retten?

Er jagte hin und her auf dein Schneefeld trotz seiner Holzlast, denn die Angst lieh ihm Riesenkräfte; aber immer jagte der Sturm hinter ihm her, immer klang's über ihm, ! donnerte es den Berg herab, da, wo er war, und jetzt

hu! jetzt kam es herangesetzt, weiß, mit fliegender Mähne.