Heft 
(1897) 08
Seite
307
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Der Uettelöuö.

Er barg sich in Todesängsten hinter dem nächsten Stein.

Aber horch! Das waren nicht Pferdehufe, das war ein Windstoß; nein, das waren nicht Pferdemühnen Schneewolken jagten über das weiße Feld. Fernab am Berg donnerte jetzt die Schneesturmkarosse. Er lebte, er war gerettet! Heim jetzt, schnell heim!

Aber der Schreck zitterte ihm in allen Gliedern nach, und wie er sich erheben wollte, versagten die Knies.Ich will doch lieber ein wenig ruhen und warten, bis der ärgste Sturm sich gelegt hat. Nun ist ja keine Gefahr mehr."

Bettelbub faß, unter feine Holzlast geduckt, wie in einem sichern Häuschen. Nur manchmal wehte der Wind ihm Flocken ins Antlitz und zwang ihn, die Lider zu schließen, aber er öffnete sie gleich wieder und blickte unverwandt in das Schneegestöber. Er vergaß sogar die Sorge um seinen Heimweg darüber, daß die Flocken so drollig den Kopf der schwarzen Hochtanne umtanzten, wenn sie auf Augenblicke aus dem Nebel heraussah, und dann trieb wieder stäubender Schnee gegen den Stamm. Ein vertrocknetes Blatt wirbelte auf dem Schneefeld umher; das war der einzige braune Fleck in dem schimmernden Weiß ringsum. Es rastete einen Moment wie totmüde, dann erfaßte der unbarmherzige Sturm es von neuem und peitschte es ruhelos umher.

So trieb es dich eben noch auch um," sagte Vettelbub, nun ruht es sich gut hier, gut."

Der Schnee fiel rings um den Knaben her, schnell, dick, dicht. Er fiel auf seine Holzlast und deckte sie allgemach zu. Der Wind blies und brauste, aber es schien jetzt ein Wiegenlied, was er sang, denn es legte sich Schlummer auf Bettelbnbs Angesicht.

Da dröhnte es von neuem über ihm und fuhr scharf die Felswand herab und rollte wie Räder und klang wie Hufe auf blankem Gestein.

Hier findet die Sturmkarosse mich nicht," sagte Bettel­bub, der die fchlafmüden Lider aufriß.Hier, hinter dem hohen Stein bin ich geborgen, sie soll nur kommen."

Und sie kam mit Douuergetöse. Hatte sie wirklich acht Räder und vorn zwölf Pferde, schneeweiße Pferde?

Bettelbub schob voll Neugier den Kopf hinter dem Stein hervor; seine Sicherheit flößte ihm Mut ein. Er zählte die Räder und zählte die Pferde zwölf weiße Pferde! Aus ihren Nüstern stob Schnee, Schneeflocken flogen aus ihren wild flatternden Mähnen, und die Hinterwand des Wagens war ein breites Segel, das sich drehte und blähte; das bog sich im Sturm und schüttelte Flocken.

Niemand lenkte die Pferde; denn der, der im Wagen saß, schlief. Er trug einen Schneepelz und eine riesige

Zipfelmütze, hielt das Haupt auf die Brust gesenkt, und Eiszapfen hingen in seinem Barte. Das war der Winter.

Das also war er; der schickte die Kälte und brachte den Schneesturm und machte, daß Mutter fror.

Beltelbnb bog sich neugierig weiter und weiter hervor. Seine Brust hob sich im Hochgefühl. Er, er sah die Schneesturmkarosse, er war allein mit dem Winter, ganz allein mit ihm auf der weiten Flur. Wer von den Kindern im Dorf konnte sagen, er habe gleiches erlebt?!

Er schaute und schaute, um keine Einzelheit zu vergessen. Jetzt würde er der Mutter daheim erzählen, er. . .

War's nicht gerade, als ob der alte Schläfer die Gegen­wart von etwas Menschlichem auf dem verlassenen Gefilde spürte? Er hob schwerfällig den Kopf, wandte ihn seitwärts, öffnete langsam die Lider, und ein Blick aus schlaftrunkenen Augen fiel voll, seltsam und schwer auf den Knaben.

Warum ward's Bettelbub auf einmal so weh? Was durchdrang ihn so eisig? Was lief wie ein Schauder durch sein Gebein? Sein Zähne fingen zu klappern an, er krümmte sich zitternd unter der Holzlast; es schüttelte ihn wie im Fieber.

*

Die Schneesturmkarosse war lang schon vorübergerollt. Fernab tobte sie jetzt, schwach und schwächer klang das Echo vom Berge. Aber noch immer hielt Bettelbub die Augen in Grauen geschlossen, ihm war, als fühle er noch den Blick auf sich, den entsetzlichen Blick des Winters.

Wie lang er so saß, das wußte er nicht. Er wußte nur, daß er nicht länger fror; dazu umhüllten ihn auch die Flocken zu dicht von allen Seiten. Wie der Erde wurde ihm, die warm unter der Schneehülle ruht und schläft und träumt.

Er war zu Hanse, und im Herde brannte das Feuer. Das Holz knisterte, und die Funken stoben. So warm war's, daß die Mutter die Decke zurückschlug. Er selbst saß dicht bei dem Herd und blickte nach dem Fenster, wo der Vorhang hängt init den weißen Punkten. Nur sonderbar, die Punkte stehen nicht still, sie fallen, fallen, fallen.

Bettelbub sieht darauf hin, und ihm selber fallen die Augen zu. Wohl und wohliger wird es ihm in den Adern. Das prickelt und brennt, das steigt immer höher, heiß, ordentlich heiß, und im Herde prasseln die Scheite, es flammt, es lodert

Welch Licht, welch Schein!

Nein, das kann auf dem Herde nicht fein, auch nicht in der Stube, das ist zu hell! Das ist Himmelsfeuer, groß, glühend.

Drüben über den Bergen reißen die Wolken, der Nebel­vorhang hebt sich. Sieh! Auf rosig goldenen Wolken mitten im Himmel sitzt die Mutter und winkt und lächelt: Komm, komm, Bub! Hier friert man nicht mehr."

Und in den weißen Falten von Mntters Kleide bergen sich unzählige Engelsköpfchen, lugen hervor und rufen: Beltelbnb, Bettelbub!" aber mit so lieblichem Lächeln, mit so freundlicher Stimme:Komm, komm, mir warten schon dein!"

Die Engelein, meine Gespielen!" jauchzt Bettelbub auf und wirft sich vorwärts, ihnen entgegen.

-k-

Am Morgen darauf kamen Bauern über den Berg, immer einer hinter dem andern auf dem schmalen, in die dicke Schneedecke getretenen Wege. Sie fanden Bettelbub im Schnee unter der Holzlast schlafend.

Faulpelz, wach auf! Deine Mutter ist tot." Sie hatten gut rufen und rütteln. Bettelbub hörte sie nicht mehr.

Maustot!" sagten die Bauern.Ist seiner Mutter nach. Auch gut. Wieder eine Last weniger für die Ge­meinde. Man kann sie gleich beide zusammen begraben."

Einer nahm einen Sack vom Rücken, und in den thaten sie, was vom Bettelbub noch auf der Erde zurückgeblieben war. So trugen sie ihn hinunter ins Dorf und begruben ihn an der Seite seiner Mutter, der Bettlerin.

Lin kleines Nest.

haben dich ein enges Nest genannt,

Du kleine Stadt mit deinen schmalen Gassen; Mb ihnen wohl das reiche Glück bekannt,

Das dieses kurze wörtlein kann umfassen?

Mb deine Grenzen eng, die bsäuser klein.

Und ob du prunklos, arm und still-bescheiden,

Du schließt doch manch ein reiches Leben ein Und manches traute kseim voll hoher Freuden.

Ich neid' euch nicht die bunte Pracht der Welt, Mich dünkt, mir ist ein besser Glück beschieden,

Das warm und fest mein Lserz gefangen hält

Lin kleines Nest und süßer Lseimatfrieden.

Nedwig Gräfin Rittberg.