LMM
Neues vom Nücherlisch.
Von
Waul von Szczepanski.
geschieht wohl jedem Autor einmal, daß sich ihm der Wl Stoff unter der Arbeit ganz anders gestaltet, als er ihn ursprünglich zu gestalten beabsichtigte. Dieses Mißgeschick, das freilich nicht immer ein Mißgeschick zu sein braucht, scheint mir auch Schulte vom Brühl, dem Verfasser des Romans „Gleich und ungleich" (Stuttgart, Verlag von Adolf Bonz L Co.), geschehen zu sein. Täuscht mich nicht alles, so hat der Verfasser einen Künstlerroman schreiben und schildern wollen, wie zwei in ganz ungleichen, aber gleich engen Verhältnissen ausgewachsene Menschen die sich ihnen entgegenstellenden Hindernisse überwinden und sich zu den freien Höhen der Kunst emporringen. Arno Trost ist ein junger Thüringer von illegitimer Geburt, der einem Gönner seiner übrigens sehr ehrenwerten Mutter eine bessere Erziehung verdankt, als seine eigne Mittellosigkeit ermöglichen würde, und der auf einer kunstgewerblichen Vorschule so viel eignes bildnerisches Talent zeigt, daß ihm sein alter Freund ruhigen Herzens anraten kann, sich der großen Kunst zu widmen. Comtesse Asta Fanti ist von sehr vornehmer Familie, aber ebenso mittellos — wenn man die verschiedenen Ansprüche, in denen beide ausgewachsen sind, in Betracht zieht — wie ihr männliches Gegenstück. Diese Mittellosigkeit treibt sie vorwärts, während ein Wall von Vorurteilen, von denen Arno Trost nicht behindert wird, sie einengt und zurückhält. Und auch Gräfin Asta siegt über alle Hindernisse und besiegt alle Vorurteile und wird eine große Künstlerin, wem: auch nur eine Kunststickerin. Daß die beiden sich anfangs voneinander mindestens ebensosehr abgestoßen wie angezogen fühlen, sich später rückhaltlos schätzen lernen und endlich sich lieben und heiraten, wäre im Leben nichts besonders Merkwürdiges und ist im Roman das Selbstverständliche. Auch ist die Nebeueinanderstelluug dieser beiden, aus so ganz verschiedenen Verhältnissen hervorgegangeuen Persönlichkeiten sicher nicht daran schuld, daß dem Verfasser die Absicht, einen Künstlerroman zu schreiben, mißglückt ist, und daß er es nur bis zu einer ziemlich grellen Beleuchtung von Standesvorurteilen gebracht hat, die noch dazu einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Nur das große Gewicht, das der Verfasser diesen Standesvorurteilen beilegt, ist die Ursache, daß der Leser nicht die künstlerische Eickwicklung des Helden und der Heldin, sondern die endliche Vereinigung des
thüringischen Bauernjungen, aus dem ein Künstler mit großer Zukunft, und der hochgeborenen Gräfin, aus der eine berühmte Kunststickerin geworden ist, als die hauptsächlichste Aufgabe ansieht, die sich der Verfasser gestellt hat. Und diese Aufgabe zu lösen, ist am Ende heutzutage nicht mehr so schwierig. Schulte vom Brühl scheint selber zu empfinden, daß vernünftige Menschen einer armen Gräfin, die am Stickrahmen gleichzeitig ihren künstlerischen Neigungen frönt und ihr bescheidenes Brot verdient, nur von Herzen gratulieren können, wenn sie die Frau eines talentvollen Bildhauers wird. Dein: die beiden Figuren, die er als Vertreter hocharistokratischer Vorurteile der Gräfin Asta an die Seite gestellt hat, sind so zurückgeblieben in ihren Anschauungen, daß man es gar nicht als einen Beweis besondere:: Mutes ansehen kann, wem: die Gräfin einfach über sie zur Tagesordnung übergeht. Die eine, ihren Bruder, nennt Gräfin Asta selbst einen „Fliegende Blätter- Lieutenant"; die andre, ihr Onkel und Vormund, ist beinahe noch nichtssagender. Beide sind Figuren für Witzblätter ; ich kann nicht Ansehen, warum Schulte vom Brühl erwartet, daß mau sie in: Leben oder im Roman, der ein Spiegel des Lebens sein soll, ernsthaft nehmen könne. Fast macht es den Eindruck, als ob der Verfasser glaubte, in ihnen zwei Aristokraten gezeichnet zu haben, wie sie im Durchschnitt sind, und eine Stelle seines Romans läßt darauf schließen, daß er im Gegensatz dazu in Sudermanns Grafen Traft ii: der „Ehre" den Aristokraten sieht, wie er im Durchschnitt sein sollte. Das ist nun eii: eigentümlicher Geschmack, muß ich sagen. Denn dieser Suder- maunsche Graf Traft ist trotz des wohlgepflegten Vollbarts, mit dem er auf der Bühne umherzustolzieren pflegt, und trotz der glänzenden Suade, die seinem Munde entströmt, meiner Meinung nach die hohlste Theaterfigur, die Suder- maun geschaffen hat. Wenn er trotzdem von großer Bühnenwirkung ist, so liegt das nur daran, daß Sudermann keiner der andern Personen des Schauspiels gestattet, ihm drein- zuredeu. Ein einfacher Zwischenruf „Zur Sache!" müßte ihn schon in die höchste Verlegenheit bringen. Uebrigens hat Schulte vom Brühls Roman „Gleich und ungleich" besonders im ersten Teil seine großen Vorzüge. Die dürftige:: Verhältnisse, aus denen der Bildhauer Trost hervorgegangen ist, die Beziehungen zu dem älteren Freunde, der sich seiner