Heft 
(1897) 08
Seite
309
Einzelbild herunterladen

309

Neues vom Nüchertisch.

annimmt und feine Schritte väterlich leitet, die ersten Regungen der erwachenden Künstlerseele und der Hinter­grund, auf dem sich dieser erste Teil der Geschichte abspielt, sind sehr eindrucksvoll geschildert. Hier wirkt auch der Gegensatz, denn zwischen dein mittellosen Bauernjungen, der noch nicht weiß, ob er jemals weiterkommen wird, als ftsielerige Modelle für Fabrikware in Porzellan zu schaffen, und der jungen Gräfin Asta, die trotz ihrer Mittellosigkeit zu den ersten Gesellschaftskreisen der kleinen Residenz gehört, besteht ein Gegensatz, den selbst lange Reden eines Grafen Traft nicht aus der Welt schaffen konnten. Aber zwischen dein späteren Bildhauer Trost, der in der besten Gesellschaft selbstverständlich aufgenommen ist, und der Gräfin, die aus der Kunst ein Gewerbe macht, ist die Kluft schon lange ausgefüllt, bevor Schulte vom Brühl den-Bruder und den Onkel der Gräfin dahinein versenkt hat, und keine Kunst kann diesen Gegensatz künstlich aufrecht erhalten. Außerdem wird der Verfasser in der zweiten Hälfte des Romans weitschweifig und behandelt Episoden, die für die künst­lerische Entwicklung des Helden doch nur von geringer Be­deutung find, mit einer Ausführlichkeit, die den Fortgang der Handlung bedenklich ins Stocken bringt.

Der ausgezeichnete SchildererTiroler Volkstypen Richard Bredenbrücker veröffentlichte eine neue Novelle:Drei Teufel" (Berlin, Verlag von F. Fontane L Co.). Ur­sprünglich hieß, wie ich mich aus der Lektüre des Manu­skripts erinnere, die NovelleDie heilige Dreifaltigkeit", und unbefangenen Lesern, die an einer Titelsatire keinen Anstoß nehmen, erschien er passender und kräftiger. Aber der Verfasser mag zu der Aenderung durch das Bedenken bewogen worden sein, daß irgend jemand in dein harmlos gemeinten Titel eine Gotteslästerung sehen könnte und Vorsicht ist zu allen Dingen nütze, besonders wenn man als deutscher Schriftsteller der liebenswürdigen Fürsorge des Staatsanwalts entgehen will. Das hat jüngst ja erst Johannes Trojan erfahren, an dessen königstreuer Ge­sinnung und vaterländischem Empfinden allerdings auch heute noch niemand zweifeln kann, der sich die Freude ge­macht hat, den Dichter in seiner litterarischen Gesamt­persönlichkeit kennen zu lernen. Muß man Bredenbrückers Vorsicht loben, so ist darum der neue Titel doch noch nicht der bessere. Denn drei Teufel sind die drei alten Schwestern doch eigentlich nicht, die sich dazu entschließen, in einer Stnbe zusammenzuhausen, um ein paar Gulden zu er­sparen angeregt durch eine Sonntagspredigt über die heilige Dreifaltigkeit, aus der die eine der Schwestern ent­nommen hat,daß unser Himmelsvater deretwegen sei' Mordskraft hat". Alle ihre Schwächen, der Unfriede, der Neid, der Geiz, die Habsucht, die einen ewigen Krieg zwischen ihnen heraufbeschwören, sobald sie in einer Stube zusammengepfercht find, und an denen sie alle drei nach­einander zu Grunde gehen, statt sich jene Mordskrnft zu holen, die sie sich von ihrem Zusammenleben versprochen haben, sind rechte und echte menschliche Schwächen, bis ins Groteske gesteigert durch das Alter, durch Armut, Un­bildung und vielleicht auch angeborene Wunderlichkeit. Selbst daß jede von den dreien es für selbstverständlich hält, sie werde die Ueberlebende von allen und einmal die alleinige Beherrscherin der dürftigen Bauernstube und Besitzerin aller darin zusammengetragenen Herrlichkeiten sein, rechne ich noch nicht unter die teuflischen Gelüste, sondern unter die mensch­lichen Schwächen, die der Berliner Witz charakterisiert, in­dem er eine Frau zu ihrem Manne sagen läßt:Lieber Fritz, sollte einer von uns beiden sterben, dann ziehe ich nach Potsdam." Litterarisch angesehen gehören die drei alten Weibsen, die uns Bredenbrücker schildert, samt dem Manne der einen, der klug genug ist, es mit keiner zu verderben, und um dessen Gunst daher alle drei mit kleinen Gntthaten buhlen, zweifellos zu den prächtigsten Charakter­

köpfen, die sich ein Liebhaber von dergleichen nur wünschen kann. Allerdings wird ihre Bekanntschaft erschwert durch die Treue und Gewissenhaftigkeit, mit der Bredenbrücker den Dialekt behandelt. Er fördert auf diese Weise wahre Delikatessen zu Tage, aber wer sie nicht gewöhnt ist, das heißt, wer den Tiroler Dialekt nicht wie seine Muttersprache beherrscht und sich auf jeder Seite erst fünf- bis sechsmal ans den Anmerkungen Aufschluß über die Bedeutung eines ganz und gar rätselhaften Wortes holen muß, der hat schließlich doch das Gefühl, als würde das Ganze durch nicht ganz so viel pikante und eigenartige Zuthaten ein gut Teil leichter verdaulich leichter verständlich und deshalb in einem großen Leserkreise wenigstens sehr viel wirksamer geworden sein. Auch durch Kürzungen würde das ganz originelle und den Eindruck einer selten kräftigen Eigenart machende Buch nichts verloren haben, wenn auch vielleicht nur für solche Leser, denen, wie mir, das Ver­ständnis dieses ganz echten Dialekts nicht unerhebliche Schwierigkeiten macht.

Georg Freiherrn von Omptedas RomanDer Zeremonienmeister", denUeber Land und Meer" zuerst veröffentlichte, erschien als Buch im Verlag von F. Fontane L Co. Da das Werk den meisten Lesern be­reits bekannt geworden ist, muß ich von einer eingehenderen Besprechung absehen und mich daraus beschränken, zu sage», daß mir das Buch den Eindruck gemacht hat, als gehöre der Roman zu den guten Romanen, denen die Veröffent­lichung in Fortsetzungen nicht förderlich ist, die in einem Zuge genossen sein wollen, wenn der Leser dem Autor gerecht werden soll. Denn der Stoff schließt starke Span­nungen und eigentlich dramatische Wirkungen ans; ein alter Herr, der sich über seine Jahre nicht täuscht, trotzdem er sich jugendlicher fühlt als die meisten seines Alters, und dem das Herz dann doch noch einen Streich spielt, der ist kein Eroberer mehr, der sich des Sieges gewiß dünkt. Tn ist der Zweifel stärker als die Zuversicht. Aber gerade diese Zaghaftigkeit der vornehmen Natur schildert Ompteda mit einer psychologischen Tiefgründigkeit, die diesen Roman zu einer psychologischen Studie allerersten Ranges macht. Und auch als ein getreues Bild der aristokratischen Ge­sellschaft Dresdens hat dieses Werk Omptedas seine kultur­historische Bedeutung. Das Milien, in dem der Zeremonien­meister lebt, ist mit ganz unübertrefflicher Feinheit gezeichnet, und selbst jede der nur episodisch auftretenden Figuren ist von individuellem Leben erfüllt.

Auch ein Bild aus der Gesellschaft ans der Kopen­hagens allerdings, aber die Gesellschaft aller großen Städte hat etwas Gemeinsames zeichnet Erna Inel - Hansen in ihrem Roman:Die Geschichte eines jungen Al äd che ns" (deutsch von Ernst Brauseivetter, Stuttgart, Verlag der Deutschen Verlags-Anstalt). Ich will vorans- schicken, daß der Roman mit dem harmlosen Titel durchaus keine Geschichte für junge Mädchen ist; aber eine Geschichte für die Eltern junger Mädchen möchte ich ihn nennen, eine warnende Geschichte. Wenn die Geschichte auch, weder in Kopenhagen, noch sonst in einer größeren Stadt, eine all­tägliche Geschichte sein mag, vielmehr ganz sicher zu den Ansnahmefallen gehört, so ist sie doch so wahr in ihrer Entwicklung, in jedem Detail und selbst in ihrer Lösung, wie nur irgend eine Geschichte sein kann. Und in dieser Wahrhaftigkeit und in dem aus der Wahrhaftigkeit immer sich ergebenden sittlichen Ernst liegt die große Bedeutung dieses Romans. Margarete Holm ist die jüngere Tochter des Etatsrats Holm, ein frischer, hübscher, unverdorbener Backfisch, dessen starke Phantasie durch die Hochzeit der um mehrere Jahre älteren Schwester angeregt wird. Der Vater hat in seinen müßigen Stunden, die für den viel­beschäftigten Politiker allerdings selten genug sind, seine Freude an dem lebhaften jungen Mädchen, die Mutter ist