Issue 
(1897) 08
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Ueöer Land und Weer.

durch das Glück, die älteste Tochter endlich an den Mann gebracht zu haben, so in Anspruch genommen, daß sie sich wenig um das jüngere Kind kümmern kann. Uebrigens glaubte sie auch ihre Pflichten gegen die Jüngste auss beste erfüllt zu haben, indem sie alles das, was man unter dem Sammelnamenschlechte Einflüsse" zu begreifen pflegt, aufs ängstlichste von ihr fernhielt. Die Häuslichkeit des Etatsrates bildet eine nach allen Seiten hin abgeschlossene Ecke, in die allerdings wenig frischer Wind, aber auch nicht so leicht ein zerstörender Orkan Hineinblasen kann. Mar­garete kann daher, nach Meinung der Mutter, ohne alle Gefahr sich selbst überlassen bleiben. Der einzige Mann von etwas freieren Anschauungen, der Zutritt zu dem Familienkreise hat, ist ein Vetter des Hauses, ein junger Künstler, den die Heranwachsende Margarete mit ihrer harmlosen Neugier für die Rätsel des Lebens amüsiert und interessiert; wahrscheinlich würde er sie heiraten, sie glück­lich machen und mit ihr glücklich werden, da sie alles dazu hat, um sich unter der Leitung eines verständigen Mannes zu einer guten, klugen, vielleicht sogar bedeutenden Frau zu entwickeln. Aber er erkrankt nach einem Feste, auf dem ihn der Liebreiz des jungen Mädchens dazu hingerissen hat, sie zu küssen, und stirbt wenige Tage nachher. Mar­garete glaubt, ihr Leben lang um ihn trauern zu müssen, und verfällt in eine Krankheit, von deren eigentlicher Ur­sache ihre Eltern nichts ahnen. Zu ihrer Erholung wird sie zu einer alten Tante aufs Land geschickt. Auch dort ist sie wieder ganz sich selbst überlassen, und nicht nur die Freude am Leben kehrt ihr sehr schnell zurück, sondern auch die Ueberzeugung, daß ihr die Schwärmerei der übrigen jungen Mädchen des Villenortes für den verheirateten Pfarrer doch zu unsinnlich und mystisch ist, um sich mit Ernst an ihr zu beteiligen. Nach Kopenhagen zurückgekehrt, sieht sie in einer Dilettantenvorstellung das Ideal, das sich ihre ungezügelte Phantasie gestaltet hat, einen athletisch ge­bauten Mann, an dessen Ebenmaß sich ihr Auge berauscht, und den sie zu lieben glaubt. Sie bringt es fertig, ihn

zu einer Verlobung mit ihr zu zwingen, trotzdem er von außerordentlicher Kühle ihr gegenüber ist und es nicht einmal versucht, ihr ein wärmeres Empfinden vor­zuheucheln. Daß sie nach Zärtlichkeiten verlangt, daß sie sie von dem Bräutigam erwartet, und daß sie sich unglück­lich fühlt, als er nüchtern bleibt, scheint er gar nicht zu bemerken. Unbekümmert rüstet er sich zu einer längeren wissenschaftlichen Reise ins Ausland. Und während er ab­wesend ist, begegnet ihr im Hause einer verheirateten Freundin, in dem ein ziemlich freier Verkehrston herrscht, ein junger Künstler, dessen heiße Augen sie schon einmal in ihrer Backfischzeit beunruhigt und ihr die Lösung aller Rätsel, die ihre Phantasie beschäftigen, versprochen haben. Ohne alle Skrupel und ohne alle Berechnung giebt sie sich ihm hin, ein Doppelleben führend im Hause ihrer Eltern und in dem verschwiegenen Atelier des Künstlers, bis dieser, ihrer überdrüssig und von neuer Arbeitslust gepackt, sie verläßt und nach Italien abreist. Da wird ihr klar, wohin sie sich verloren hat. Ihr Vater kann die Zerfahrenheit ihres Wesens sich nur damit erklären, daß er sie von Sehnsucht nach dem fernen Bräutigam verzehrt glaubt, und er sucht dessen Rückkehr und die Hochzeit zu beschleunigen. Margarete indessen beschließt, zu sterben, um dem unmög­lichen Wiedersehen mit dem Bräutigam, dieser unmöglichen Hochzeit aus dem Wege zu gehen. Aber der Mut und die Kraft versagen ihr und sie schiebt die Ausführung ihres Entschlusses immer wieder auf, bis es zu spät ist. Von einem ihrer verzweifelten Gänge in die Einsamkeit und an das Wasser zurückgekehrt, findet sie den früher als erwartet zurückgekehrten Bräutigam zu Hause vor. Und nun der überraschende, aber, wie mir scheint, bis zur Brutalität lebenswahre Schluß dieser Geschichte eines jungen

Mädchens: Margarete tritt in das dämmerige Wohnzimmer, mit dem Entschluß, ihrem Vater alles zu bekennen, ohne eine Ahnung, daß der Bräutigam bereits da ist.Der Vater stand gerade dicht bei der Thür, als hätte er sie kommen gehört und wäre ihr entgegengegangen. Mit halbersticktem Ausruf warf sie sich an seinen Hals, während die Thränen ihr aus den Augen stürzten, und sie ver­mochte nichts weiter zu sagen als schluchzend: ,O Papa ich' Papa strich ihr über die Wange hin, küßte sie zärtlich, lachte ein wenig und trug sie fast ein Stück ins Zimmer hinein, wo er sie in ein paar andre Arme legte. Ein bärtiges Gesicht kam dem ihrigen nahe, sie fühlte einen Kuß auf ihrer Stirn, sie schrie laut auf "und wollte sich losreißen. Aber die Arme, die sie festhielten, waren stark, und eine Stimme, die sie kannte, sagte ruhig und fest: ,Du brauchst nicht zu erschrecken, ich bin es, Henning Möller dein dein Bräutigam? ,Ncr war das nicht eine UeberraschungA hörte sie Papa sagen, ein wenig schnaufend, als wäre er gerührt. Ja, das war eine Ueberraschung! Sie wußte nicht, was über sie gekommen war; aber sie vermochte sich nicht loszureißen aus diesem Arm, der sie so festhielt, hatte kaum den Willen dazu. Sprachlos, betäubt blieb sie stehen jeder Gedanke, etwas zu sagen, war sortgescheucht von Angst, Scham und einem qualvollen Gefühl der Mut­losigkeit gegenüber dem, was sie nun ihr Schicksal nannte. An diesem Abend sagte sie nichts. Möller war lebhafter als sonst. Er erzählte Langes und Breites von seinen Erlebnissen und war förmlich galant gegen sie. Einen ganzen Koffer voll grönländischer Raritäten hatte er für sie mitgebracht, und sie nahm sowohl diese als seine Ga­lanterien an. Und dann, in der rastlosen Geschäftigkeit, die nun folgte durch den Einkauf der Aussteuer und die Hochzeitsvorbereitungen, wo sie bei allem mit dabei war und zu allem ja sagte, wurde ihr Gehirn ganz gelähmt, obschon sie jeden Tag dachte, daß sie es morgen sagen wolle, um sich von dem schlimmsten Unglück, der Heirat mit Möller, zu befreien. Schließlich gab sie den Gedanken aus, es selbst zu thun, und wartete, daß von außen her etwas geschehen möchte, was ihr Helsen könnte; aber es geschah nichts. Und drei Wochen später war große Hochzeit bei Etatsrat Holms. Margarete in weißem Atlaskleid, Kranz und Schleier wurde au diese»: Tage dem I)r. pllil. Henning Möller angetraut." Damit schließt die Geschichte eines jungen Mädchens. Ich weiß wohl, daß in Deutschland die Mei­nung ziemlich verbreitet ist, nicht, daß solche Geschichten nicht passierten, sondern daß man solche Geschichten nicht erzählen sollte. Und in der That, ich glaube, daß ein deutscher Autor, wenn er diese Geschichte erzählte, sie da­mit geendet hätte, daß er die Heldin ins Wasser gehen ließ. Der tragische Ausgang wäre ihm als Sühne er­schienen, und er hätte das beruhigende Gefühl gehabt, dem entsprochen zu haben, was die meisten Leser von einen: Autor, der auf Moral hält, erwarten. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß solche Geschichten nicht nur geschrieben werden dürfen, sondern sogar geschrieben werden müssen, wenn die Unterhaltungslitteratur nicht auf eiu sehr tiefes Niveau herabgedrückt werden und gereiste Leute noch inter­essieren soll. Nur daß solche Werke nicht von jedermann gelesen werden sollten, ist meine Meinung, auf die Gefahr hin, geplagten Eltern die Pflicht aufzubürden, unreife Kinder in ihrer Lektüre zu überwachen. Aber in einem Punkte kann ich der Verfasserin nicht recht geben. Erna Juel-Hansen ist der Ansicht, Margaretens Mutter hätte dem Unglück ihrer Tochter Vorbeugen können, wenn sie nicht an der Ansicht festgehalten hätte, natürliche Dinge müßten jungen Mädchen ein Geheimnis bleiben, bis die Ehe sie darüber aufklärt. Das scheint mir eine sehr graue Theorie zu sein; denn theoretisches Wissen ist absolut kein Arkanum gegen einmal durch lebhafte Phantasie geweckte starke