"Neues vom Wüchertisch.
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Sinnlichkeit. Und ein Opfer der letzteren ist Margarete, nicht ein Opfer ihrer Unwissenheit. In einem ganz andern Punkt liegt die Verschuldung der Frau Etatsrat Holm: Sie läßt ihre Tochter unbeschäftigt, läßt ihr viel zu viel Zeit zum Müßiggang und zu thörichten Launen. Wenn einem Arzt der Fall vargelegt würde, würde er sehr wahrscheinlich erklären, daß frühzeitiges Aufstehen und viel körperliche Arbeit oder geistige Beschäftigung dem ganzen Unglück vorgebeugt hätten.
Der vielbearbeitete Kleopatrastoff hat auch den Engländer H. Rider Haggard zu einem Roman „Kleo- patra" (deutsch von I)r. Arthur Schilbach, Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt) begeistert. Was die von der Wissenschaft neu eröffneten Quellen über die Geschichte Aegyptens zu Tage gefördert haben, hat der Verfasser gewissenhaft benutzt, aber auch die dichterische Phantasie kommt zu ihrem Rechte. Sie giebt dem Stoffe sogar ein ganz neues Gepräge und hat für den Sturz Kleopatras eine ganz neue Triebfeder gefunden, die zwar historisch nicht beglaubigt ist, aber die der Autor doch sehr glaubhaft wirken läßt. Rider Haggard führt das Ende Kleopatras auf eine Verschwörung der alten ägyptischen Priesterschaft zurück, die den Zweck hat, den letzten der Pharaonen, Harmachis, auf den Thron Aegyptens zurückzuführen und die hellenische Kultur auszurotten. Harmachis, der Letzte des alten Herrschergeschlechts, ist ein Sohn des Oberpriesters des Setitempels in Abuthis. Seine Mutter stirbt kurz nach seiner Geburt, aber vor ihrem Ende erhebt sie sich noch einmal mit übermenschlicher Anstrengung von ihrem Lager, nimmt eine goldene Uräusschlange, das Symbol der Königswürde, legt sie dein neugeborenen Knaben um die Stirn und weissagt, daß die Tage der Macedonier gezählt seien, und daß das Zepter über Aegypten wieder in die Hände dieses echten Abkommen des alten, eingeborenen Königsgeschlechtes kommen werde. Trotz aller Vorsicht verbreitet sich das Gerücht von der wunderbaren Weissagung und gelangt auch zu Ptolemäus, dem regierenden Pharao, der, von Furcht ergriffen, sofort eine Schar seiner Leibwächter nilauswärts nach Abuthis mit dem Aufträge sendet, dem zu so hohen Zielen bestimmten Kinde des Hohenpriesters das Haupt abzuschlageu. Aber Harmachis' alte Wärterin Athua, die mit ihrer plaudernden Zunge das Geheimnis seiner Bestimmung verraten hat, rettet den Knaben, indem sie statt seiner ihr eignes Enkelkind den Mördern ausliefert. Um Harmachis für die Zukunft vor Nachstellungen zu sichern und ihn doch in seiner Nähe behalten und seine Erziehung überwachen zu können, verbreitet sein Vater das Gerücht, daß ec wirklich ermordet sei und er den Enkel der alten Athua an Sohnesstelle angenommen habe. Sorgfältig wird Harmachis erzogen, in alle Geheimnisse des alten ägyptischen Kultus eingeweiht, in der Stille eines abgelegenen Tempels von den Priestern zum König gekrönt und nach Alexandrien gesandt, als sein Vater ihn zu einem Manne herangewachsen glaubt, der innerlich gefestigt genug ist, um, widerstandsfähig gegen alle Versuchungen, nur das eine Ziel, das ihm vorgesteckt ist, im Auge zu behalten. In aller Stille hat die Priesterschaft ein enges Netz der Verschwörung um Kleopatra gezogen; Charmiou, eine Cousine des Harmachis und Mitverschworene, ist die engste Vertraute der Königin. Ihr ist die Aufgabe zuerteilt, dem Jüngling freien Zutritt zur Königin zu verschaffen. Harmachis soll Kleopatra töten, die Mitverschworenen ihre Leibwache überwältigen. Aber ehe Charmion Harmachis zur Kleopatra führt, will sie von ihm Gewißheit darüber, ob er ihre Liebe zu ihm, die bei seinem ersten Anblick aufgeflammt ist, erwidert, ob er sie zu seiner Gattin und zur Königin machen wird, wenn das Werk gelingt. Als Harmachis sie kühl zurückweist, verrät Charmion das Komplott an Kleopatra. Trotzdem empfängt die Königin den Mann, von dem sie weiß, daß er gekommen
ist, um sie zu töten, allein; es reizt sie, selbst auf die Gefahr ihres Lebens, zu sehen, wer siegen wird, ihre Schönheit oder der feste Entschluß dieses Mannes. In dem glänzend und farbig geschriebenen Buche mit seinen vielen wirkungsvollen Semen ist dieser Zweikampf zwischen Mann und Weib eine der packendsten. Harmachis unterliegt dem Zauber der Schönheit, und statt mit dem Dolche, den er im Gewände verborgen hält, die Königin zu töten, trinkt er aus dem Becher, den sie ihm reicht. Der Wein ist vergiftet, und Harmachis verfällt in tiefen Schlaf. Als er erwacht, findet er sich in einem Turmgemnch als Gefangener; auch die andern Verschwörer sind verhaftet und unschädlich gemacht. Harmachis fühlt sich als Verräter, als einen Schwächling, der das Leben seiner Getreuen dem Rausch zum Opfer gebracht hat, in den ihn in ein Weib versetzte. Trotzdem unterliegt er dem Zauber der Kleopatra von neuem; er glaubt ihr, als sie, die ein Interesse an ihm genommen hat, ihm vorspiegelt, sie werde ihn heiraten, und so werde er doch noch der König Aegyptens sein. Als Günstling der Königin lebt er, der wahre König Aegyptens, an ihrem Hofe, und als Kleopatra einmal wieder in Geldverlegenheit ist, verrät er ihr sogar das durch drei Jahrtausende von der Priesterschaft sorgfältig gehütete Geheimnis des großen Schatzes, den König Menkaura einst zusammengetragen und mit in das Grab genommen hat, auf seine Nachfolger die schwersten göttlichen und irdischen Strafen herabbeschwörend, wenn sie es jemals unternehmen wollten, diesen Schatz aus andern Gründen zu heben, als um der Not Aegyptens zu steuern und das Vaterland zu retten. Harmachis führt Kleopatra durch den nur ihm bekannten Gang hinunter in die Pyramide, sie öffnen den Sarg und entnehmen der Brust der Mumie den Schatz von Smaragden und Perlen, eine Scene, die mit all ihren Schauern und seinen charakteristischen Zügen dem Autor nicht leicht ein andrer uachschreiben dürfte. Erst als Harmachis Zeuge wird, wie Kleopatra Antonius gegenüber seiner spottet, vermag er sich, innerlich ganz gebrochen, von ihr loszureißen, und er entflieht in seine Heimat, um der Buße und der Rache zu leben. In alle Geheimnisse des altägyptischen Kultus eingeweiht, gewinnt er, unter auderm Namen und nur seiner alten ehemaligen Wärterin bekannt, bald den Ruf eines großen Wahrsagers und Arztes, und mit Hilfe der Fernsuggestiou gelingt es ihm, Kleopatras Untergang vorzubereiten. Soviel man auch gegen dieses mystische Element des Romans vom Standpunkt des nüchternen Verstandes einzuwenden vermag, — das läßt sich nicht leugnen, daß Rider Haggard bewiesene und unbewiesene Thatsachen der ägyptischen Geheimlehre dichteris ch überzeugend als führendes Moment der Handlung verwendet. Auch Kleopatra hört von den Wunderthaten des Zauberers Olympus, unter welchem Namen der Ruhm des Harmachis in ganz Aegypten bekannt geworden ist, und zieht ihn als Ratgeber an ihren Hof, als nach der verlorenen Schlacht von Aktium ihre und des Antonius Lage immer gefährdeter wird. In blindein Vertrauen befolgt sie die schlechten Ratschläge, die ihr Harmachis giebt, und die ihren Untergang besiegeln. Er ist es, der ihr schließlich den Giftbecher reicht, als ihr der Tod als der einzige königliche Ausweg erscheint, und erst, als sie den Giftbecher geleert hat und mit dem Tode ringt, enthüllt er ihr das Geheimnis seiner Persönlichkeit. Nicht genug damit, er beschwört auch vor der sterbenden Königin die Schatten aller derer, deren Tod sie verschuldet, aber — Rider Haggard hat seinem Roman die Form der Jcherzählung gegeben und fingiert, ihn aus alten, in dem Grabe des Harmachis gefundenen Papyrusrollen entziffert zu haben — wenn auch Kleopatra unter den Schrecken des Todes, die ihre königliche Seele bis zuletzt von sich ferngehalten hat, stirbt, ihr Tod giebt dem Harmachis nicht die Ruhe zurück. „Auf