312
Weber Land und Meer.
diese Weise befriedigte ich meine Seele mit der Rache, indem ich ausführte die Gerechtigkeit der Götter," schreibt er. „Und doch fühlte ich selbst dabei keinerlei Genug- thuung; denn wenn das, was wir lieben, uns sogar Verderben bringt und mitleidsloser als der Tod ist, so müssen wir es doch noch lieben, müssen dennoch unsre Arme ausstrecken nach unserm verlorenen Verlangen und unser Herzblut vergießen auf dem Altar unsrer entthronten Gottheit." Die Frage, ob das Bild der Kleopatra, das Rider Haggard entwirft, lauter historisch beglaubigte Züge aufweist, wage ich nicht zu beantworten. Aber das ist gewiß: dein Dichter ist im höchsten Maße gelungen, was alle versucht haben, die sich vorher mit der Gestaltung des Stoffes beschäftigt haben, — das Majestätische der geborenen Herrscherin und den Zauber der schönen Frau so stark in ihr zu verkörpern, daß es dem Leser ein wenig geht wie dem Helden Har- machis, der Kleopatra trotz ihrer Verbrechen bis an sein Ende liebt.
Führt Rider Haggard den Leser in die Vergangenheit zurück, so versucht der Amerikaner Edward Bell amy in seinem Roman „Gleichheit" (deutsch von M. Jacobi, Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt), ihm die Zukunft zu entschleiern. Ums Jahr 2000 wird es nach seiner Ansicht wunderschön in der Welt, vor allem aber in den Vereinigten Staaten von Nordamerika anssehen. Alle Bürger und alle Bürgerinnen werden ihren Ehrgeiz und ihre Freude darin suchen, dem Gemeinwohl zu dienen und für das Gemeinwohl zu arbeiten, keine böse Regung wird mehr in den Menschenseelen keimen, und jeder Familienvater wird einen offenen Jahreskredit von sechstausend Dollars bei der Staatsbank haben. Allerdings auch keiner mehr, aber selbst die kleine Minderheit, die heute über inehr Jahreseinkommen verfügt, und der sechstausend Dollars jährlich heute wie eine Armeleutsbrot erscheinen würden, kann vor der Zukunft Bellamps nicht erschrecken; denn alle Bedürfnisse sind so verbilligt, daß die sechstausend Dollars vom Jahr 2000 mindestens einer Einnahme von sechzigtausend im Jahre 1898 entsprechen werden. Damit kann ein bescheidener amerikanischer Millionär auch heute einigermaßen anständig leben, er wird es also im Jahre 2000 erst recht können, wenn seine Frauen und Töchter Brillanten, Seide und Spitzen kaum noch dem Namen nach kennen, weil sie sich mir noch in Papier kleiden werden — Papier freilich, das viel schöner wirkt als heute der teuerste Seidenbrokat —, wenn sie auf Staatskosten die schönsten Sommerreisen machen, im Luftschiff natürlich, und wenn sie die delikatesten Gerichte — hergestellt allerdings aus Sägespänen oder- andern uns heute ungenießbar dünkenden Stoffen, denen Bellamys Zukunftschemie Nährwert und Geschmack verleiht — ans der Volksküche beziehen. Bellamys Phantasie arbeitet
auf der Voraussetzung, daß alle Menschen ursprünglich gut und von gleicher Individualität seien, und daß nur der nach seiner Ansicht verwerfliche Begriff des Eigentums böse Instinkte in ihnen geweckt habe. Nehmt ihnen das Eigentum, folgert er, macht alles wieder zu gemeinschaftlichein Besitz, zum Staatseigentum, so werden nicht nur alle Individuen wieder gleich, sondern auch gut werden. Die Voraussetzung ist so naiv, daß an der Lektüre der darauf aufgebauten Zukunftsschilderung sicher nur ganz im Uferlosen schwimmende Idealisten Geschmack finden würden, wenn das Buch Bellamys nicht sonst sein Interessantes hätte. Die vielen Leser, die Bellamy diesseits und jenseits des Ozeans gefunden hat, lächeln wahrscheinlich über die Utopie, aber sie sind gefesselt von den Rückblicken, die Bellamy seine Menschen aus dem Jahre 2000 auf die Kulturverhältnisse des 19. Jahrhunderts, vor allem auf die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Vereinigten Staaten von Nordamerika, werfen läßt. Die Ueberzeugung, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse jenseits des Ozeans einer Katastrophe zutreiben, hat Bellamy in das Land seiner Phantasie flüchten lassen, und diese Ueberzeugung, die nicht wenige mit ihm teilen, schafft ihm die Leser. In der That hat noch kein Amerikaner so unbefangen über diese Verhältnisse geurteilt, wie das Bellamy thut, dem Währnngs- fragen, Zollmaßregeln, politischer Systemwechsel und andres nur Mittel sind, um die Katastrophe ausschieben, nicht aber, um sie auch nur noch hundert Jahre bannen zu können. In dieser Ueberzeugung mag er recht haben, wenn es das anerkannte Vorrecht der amerikanischen Beamten bleibt, sich auf Kosten des Staates und der örtlichen Gemeinwesen zu bereichern, wenn die Landwirtschaft noch fünfzig Jahre weiter so irrationell betrieben wird wie heute, und wenn das Gros der Amerikaner sortfährt, Spekulation und Arbeit miteinander zu verwechseln. Aber da, solange die Welt steht, eine Katastrophe noch niemals so friedlich ans der Welt geschafft worden ist, wie das mit Hilfe von Bellamys Phantasie geschieht, so wird es auch in Amerika nicht ohne Geburtswehen abgehen. Und was dann geboren werden wird, das wird sicher anders aussehen als Bellamys Zn- kunftsidealstaat. Wenn man nicht Amerikaner ist und nicht zu fürchten braucht, damit gegen die nationale Ehre zu verstoßen, kann man indessen mit vielen Gründen behaupten, daß nach der Katastrophe die Vereinigten Staaten überhaupt nicht mehr ein Staat sein werden, sondern wieder eine ganze Anzahl von Staaten, die ihre ganz auseinandergehenden wirtschaftlichen Interessen tapfer gegeneinander verteidigen werden, und in denen sich, trotz der Mischrasse, aus der die Bevölkerung aller gemeinsam hervorgegangen ist, nach einigen Jahrhunderten auch wieder verschiedene Bevölkerungen von ausgesprochener Eigenart bilden werden.