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Ueöer Land und Meer.
sein mußte, saß am Komiteetisch. Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil er — wie Loreazen bereits angedeutet — wirklich im geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß er selber unterliegen würde, war klar und beschäftigte ihn kaum noch, aber ihn erfüllte die Sorge, daß sein doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen könne.
Dubslav wollte die Sache gern hinter sich haben. Er trat deshalb, nachdem er sich draußen mit einigen Bekannten begrüßt und an jeden einzelnen ein paar Worte gerichtet hatte, vom Vorplatz her in das Wahllokal ein, um da so rasch wie möglich seinen ! Zettel in die Urne zu thnn. Es traf ihn bei dieser ! Prozedur der Blick des alten Zählen, der ihm in ; einer Mischung von Feierlichkeit und Ulk sagen zu wollen schien: „Ja, Stechlin, das hilft nu mal nicht; man muß die Komödie mitmachen." Dubslav kam übrigens kaum dazu, von diesem Blicke Notiz Zu nehmen, da Katzler gerade sichtbar wurde, dem er sofort entgegentrat, um ihm durch einen Händedruck zu dem siebenten Töchterchen zu gratulieren. An Gundermann ging er ohne Notiznahme vorüber. Dies war aber nur Zufall; er wußte nichts von den Zweideutigkeiten des Siebemnühleners, und nur dieser selbst, j weil er ein schlechtes Gewissen hatte, wurde verlegen ! und empfand des Alten Haltung wie eine Absage. !
Als Dubslav wieder draußen war, war natürlich ! die große Frage: „Ja, was jetzt thun?" Es ging erst auf elf, und vor sechs war die Geschichte nicht vorbei, wenn sich's nicht noch länger hinzog. Er ! sprach dies auch einer Anzahl von Herren aus, die ! sich auf einer vor dem Gasthause stehenden Bank niedergelassen und hier dem Liqueurkasten des „Prinzregenten", der sonst immer erst nach dem Diner auftauchte, vorgreifend zugesprochen hatten.
Es waren ihrer fünf, lauter Kreis- und Parteigenossen, aber nicht eigentlich Freunde, denn der alte Dubslav war nicht sehr für Freundschaften. Er sah zu sehr, was jedem einzelnen fehlte. Die da saßen und aus purer Langeweile sich über die Vorzüge von Allasch und Chartreuse stritten, waren die Herren von Molchow, von Krängen und von Gnewkow, dazu Baron Beetz und ein Freiherr von der Nonne, den die Natur mit besonderer Rücksicht auf seinen Namen geformt zu haben schien. Er trug eine hohe schwarze Krawatte, drauf ein kleiner vermickerter Kopf saß, und wenn er sprach, war es, wie wenn Mäuse pfeifen. Er war die komische Figur des Kreises und wurde gehänselt, nahm es aber nicht übel, weil seine Mutter aine schlesische Gräfin auf „iuski"
war, was ihm in seinen Augen ein solches Ueber- gewicht sicherte, daß er, wie Friedrich der Große, jeden Augenblick bereit war, „die sich etwa einstellenden Pasquille niedriger hängen zu lassen".
„Ich denke, meine Herren," sagte Dubslav, „wir gehen in den Park. Da hat man doch immer
was. An der einen Stelle ruht das Herz des Prinzen, und an der andern Stelle ruht er selbst und hat sogar eine Pyramide zu Häupten, wie wenn er Sesostris gewesen wäre. Ich würde gern einen andern nennen, aber ich kenne bloß den."
„Natürlich gehen wir in den Park," sagte von
Gnewkow. „Und es ist schließlich immer noch ein Glück, daß mau so was hat..."
„Und auch ein Glück," ergänzte von Molchow, „daß mau solchen Wahltag wie heute hat, der einen ordentlich zwingt, sich um Historisches und Bildungsmäßiges zu kümmern. Bismarcken is es auch mal so gegangen, noch dazu mit 'uer reichen Amerikanerin, und hat auch gleich (das heißt eigentlich lange nachher) das rechte Wort dafür gefunden."
„Hat immer das rechte Wort gefunden."
„Immer, immer."
„ . . . Und als nun die reiche Amerikanerin so runde vierzig Jahre später ihn wiedersah und sich bei ihm bedanken wollte wegen des Bitdermuseums, in das er sie halb aus Verlegenheit und halb aus Ritterlichkeit begleitet und ihr mutmaßlich alle Bilder falsch erklärt hatte, da hat er all diesen Dank abgewiesen und ihr — ich seh' ihn ordentlich dabei — gesagt, sie habe nicht ihm, sondern er habe ihr zu danken, denn wenn jener Tag nicht gewesen wäre, so hütt' er das ganze Bildermuseum höchst wahrscheinlich noch nicht gesehen. Ja, Glück hat er immer gehabt. Im großen und im kleinen. Es fehlt bloß noch, daß er hinterher auch noch Generaldirektor der königlichen Museen geworden wäre, was er schließlich auch noch gekonnt hätte. Denn eigentlich könnt' er alles und ist auch beinah' alles gewesen."
„Ja," nahm Gnewkow, der aus Langweile viel gereist war, seinen Urgedanken, daß solcher Park eigentlich ein Glück sei, wieder auf. „Ich finde, was Molchow da gesagt hat, ganz richtig; es kommt drauf au, daß mau 'reingezwungen wird, sonst weiß inan überhaupt gar nichts. Wenn ich so bloß an Italien zurückdenke. Sehen Sie, da läuft man uu 'rum, was einen doch strapziert, und dabei dieser ewige pralle Sonnenschein. Ein paar Stunden geht es natürlich; aber wenn man uu schon Zweimal Kaffee getrunken und Granito gegessen hat, und es ist noch nicht mal Mittag, ja, ich bitte Sie, was hat man da? Was fängt mau da au? Gradezu schrecklich, lind da kann ich Ihnen bloß sagen, da bin ich ein kirchlicher Mensch geworden. Und wenn man dann so von der Seite her still eintritt und hat mit einem Male die Kühle um sich 'rum, ja, da will mau gar nicht wieder 'raus und sieht sich so seine fünfzig Bilder an, man weiß nicht, wie. Is doch immer noch besser als draußen. Und die Zeit vergeht, und die Stunde, wo man was Reguläres kriegt, läppert sich so heran."
„Ich glaube doch," sagte der für kirchliche Kunst schwärmende Baron Beetz, „unser Freund Gnewkow unterschätzt die Wirkung, die, vielleicht gegen seinen Willen, die Quattrocentisten auf ihn gemacht haben. Er hat ihre Macht an sich selbst empfunden, aber er will es nicht wahr haben, daß die Frische von ihnen ausgegangen sei. Jeder, der was davon versteht..."
„Ja, Baron, das is es eben. Wer was davon versteht! Aber wer versteht was davon? Ich jedenfalls nicht."
Unter diesen Worten war mau, vom „Prinzregenten" aus, die Hauptstraße hinuntergeschritten und über eine kleine Brücke fort erst in den Schloß- Hof und dann in den Park eingetreten. Der See