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Stechlin.
plätscherte leis. Kähne lagen da, mehrere an einem Steg, der von dem Kiesufer her in den See hineinlief. Ein paar der Herren, unter ihnen auch Dubslav, schritten die Ziemlich wacklige Bretterlage hinunter und blickten, als sie bis ans Ende gekommen waren, wieder auf die beiden Schloßflügel und ihre kurzabgestumpften Türme zurück. Der Turm rechts war der, wo Kronprinz Fritz sein Arbeitszimmer gehabt hatte.
„Dort hat er gewohnt," sagte von der Nonne. „Wie begrenzt ist doch unser Können. Mir weckt der Anblick solcher Fridericianifchen Stätten immer ein Schmerzgefühl über das Unzulängliche des Menschlichen überhaupt, freilich auch wieder ein Hochgefühl, daß wir dieser Unzulänglichkeit und Schwäche Herr werden können. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Dieser König. Er war ein großer Geist, gewiß; aber doch auch ein verirrter Geist. Und je patriotischer wir fühlen, je schmerzlicher berührt uns die Frage nach dem Heil seiner Seele. Die Seelenmessen — das empfind'ich in solchem Augenblicke — sind doch eine wirklich trostspendende Seite des Katholizismus, und daß es (selbstverständlich unter Gewähr eines höchsten Willens) in die Macht Ueberlebender gelegt ist, eine Seele frei zu beten, das ist und bleibt eine große Sache."
„Nonne," sagte Molchow, „machen Sie sich nicht komisch. Was haben Sie für 'ne Vorstellung vom lieben Gott? Wenn Sie kommen und den alten Fritzen frei beten wollen, werden Sie 'rausgeschmissen."
Baron Beetz — auch ein Anzweisler des Philosophen vor: Sanssouci — wollte seinen! Freunde Nonne zu Hilfe kommen und erwog einen Augenblick ernstlich, ob er nicht seinen in der ganzen'Grafschaft längst bekannten Vortrag über die „schiefe Ebene" oder .,e'eM Io promior pa8 gui eoute" noch einmal Znm besten geben solle. Klugerweise jedoch ließ er es wieder fallen und war einverstanden, als Dubslav sagte: „Meine Herren, ich meinerseits schlage vor, daß wir unsern Auslug von dem Wackclstege, draus wir hier stehen (jeden Augenblick kann einer von uns ins Wasser fallen), endlich ausgeben und uns lieber in einen! der hier herum liegenden Kähne über den See setzen lassen. Unterwegs, wenn noch welche da sind, können wir Teichrosen pflücken und drüben am andern Ufer den großen Prinz Heinrich-Obelisken mit seinen französischen Inschriften durchstndieren. Solche Rekapitulation stärkt einen immer historisch und patriotisch, und unser Etappenfranzösisch kommt auch wieder zu Kräften."
Alle waren einverstanden, selbst Nonne.
Gegen vier war man von dem Ausfluge zurück und hielt wieder vor dem „Prinzregenten", auf einem mit alten Bäumen besetzten Platz, der wegen seiner Treieckssorm schon von alter Zeit her den Namen „Triangelplatz" führte. Die Wahlresultate lagen noch keineswegs sicher vor; es ließ sich aber schon ziemlich deutlich erkennen, daß viele Fortschrittlerstimmen auf den sozialdemokratischen Kandidaten, Feilenhauer Torgelow, übergehen würden, der, trotzdem er nicht persönlich zugegen war, die kleinen
! Leute hinter sich hatte. Hunderte seiner Parteigenossen standen in Gruppen auf dem Triangelplatz umher ^ und unterhielten sich lachend über die Wahlreden, die während der letzten Tage teils in Rheinsberg und Wutz, teils aus dem platten Lande von Rednern der gegnerischen Parteien gehalten worden waren. Einer der mit unter den Bäumen Stehenden, ein Intimus Torgelows,.war der Drechslergeselle Söder- kopp, der sich schon lediglich in seiner Eigenschaft als Drechslergeselle eines großen Ansehns erfreute. Jeder dachte: der kann auch noch mal Bebel werden. „Warum nicht? Bebel is alt, und dann haben wir den." Aber Söderkopp verstand es auch wirklich, die Leute zu packen. Am schärfsten ging er gegen Gundermann vor. „Ja, dieser Gundermann, den kenn' ich. Brettschneider und Börsenfilou; jeder Groschen is zusammengejobbert. Sieben Mühlen hat er, aber bloß zwei Redensarten, und der Fortschritt ist abwechselnd die .Vorfrucht' und dann wieder der .Vater' der Sozialdemokratie. Vielleicht stammen wir auch noch von Gundermann selbst. So einer bringt alles fertig."
Uncke, während Söderkopp so sprach, war von Baum zu Baum immer näher gerückt und machte seine Notizen. In weiterer Entfernung stand Pyterke, schmunzelnd und sichtlich verwundert, was Uncke wieder alles auszuschreiben habe.
Pyterkes Verwunderung über das „Aufschreiben" war berechtigt, aber sie wär' es um ein gut Teil weniger gewesen, wenn sich Unckes anfhorchender Diensteifer statt dem Sozialdemokraten Torgelow ^ lieber einer nebenstehenden Gruppe zugewandt hätte. Hier plauderten nämlich mehrere „Staatserhaltende" von dem mutmaßlichen Ausgange der Wahl, und daß es mit dem Siege des alten Stechlin von Minute zu Minute schlechter stünde. Besonders die Nheinsberger schienen den Ausschlag zu seinen Ungunsten geben zu sollen.
„Hole der Teufel das ganze Rheinsberg!" verschwor sich ein alter Herr von Kraatz, dessen roter Kopf, während er so sprach, immer röter lvurde. „Dies elende Nest! Wir bringen ihn wahr und wahrhaftig nicht durch, unsern guten alten Stechlin. Und ^ was das sagen will, das wissen wir. Wer"gegen uns stimmt, stimmt auch gegen den König. Das ist all eins. Das ist das, was man jetzt solidarisch nennt."
„Ja, Kraatz," nahm Molchow, an den sich diese Rede vorzugsweise gerichtet hatte, das Wort, „nennen > Sie's, wie Sie wollen, solidarisch oder nicht; das ! eine sagt nichts, und das andre sagt auch nichts. ^ Aber mit Ihrem Wort über Rheinsberg, da haben Sie's freilich getroffen. Ausmuckung war hier immer zu Hause, von Anfang an. Erst frondierte Fritz gegen seinen Vater, dann frondierte Heinrich gegen seinen Bruder, und zuletzt frondierte August, unser alter forscher Prinz August, den manche von uns ja noch gut gekannt haben, ich sage: frondierte unser alter August gegen die Moral. Und das war natürlich das schlimmste. (Zustimmung und Heiterkeit.) ! Und bestraft sich zuletzt auch immer. Denn wissen i Sie denn, meine Herren, wie's Augusten erging, als ! er in den Himmel wollte?"