Die Kungersteine.
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ihm das Wort nicht recht aus der Kehle, „als deine — Braut?"
„Mit Verlobuugsanzeigen und sonstigem Hokuspokus? Nein. Dazu hatten wir keine Zeit. Auch kein Geld. Abgesehu davon, daß ich nicht mal bei so viel Besinnung war damals, um 'ne Katze von 'nem Laubfrosch unterscheiden zu können. Nein. Sie kam ganz einfach, weil ich mutterseelenallein dalag, und sie mich nicht umkommen lassen wollte wie einen kranken Hund —"
„Aber der Alte? Der Herr .Registrator'?"
„Der hatte sie schon längst rausgebissen."
„Deinetwegen?"
Hubert nickte. „Als wohlbestallter .Oberlehrer' war' ich ihm wohl recht gewesen. Aber als ich umgesattelt hatte und Miete und Frühstück schuldig bleiben mußte — und das Mädchen trotzdem an mir hing..."
Er versank in finstere Gedanken. „Pfui Teufel!" rief er dann ingrimmig, „was hat sie alles durchgemacht! Eh' ein Weib so etwas thut, aus dem Hause läuft, Zu fremden Leuten!... Ein bißchen Geld war ja da. Ihr Mütterliches. Und sie war majorenn . ..
„Ich ging dann hierher. Sie hatte in Leipzig bei Verwandten eine Stelle als Stütze. Wir schrieben uns. Sie klagte nie. That immer ganz kregel. Bloß so manchmal ein Wort. Und ich saß selber so drin in der Bredouille. Meine Sachen — immer brühwarm Zurück von den Redaktionen — unbesehn. Und Tag für Tag... bis es mir, wie gesagt, zu viel wurde. Ich legte mich hin und — delirierte. Sie wunderte sich nicht lange, als meine Briefe ausblieben, packte und kam."
Er hielt inne, als erwarte er eine Zwischenrede Karl Wedekinds. Der aber saß stumm.
„Als ich endlich aufstand, mußte ich von neuem laufen lernen, wie ein kleines Kind. Wenn sie ansgegangen war, mir ein Täubchen zu kaufen oder eine Flasche Wein, flennte ich nur immer so vor mich hin. Haha! Wie ein Mensch so auf den Hund kommen kann! Aber so was Zusammen durchgemacht, das bindet, Kindlein! Das ist ein Kitt!"
Er nahm eine Photographie vom Schreibtisch und reichte sie Karl hinüber. „Gut getroffen. Erkennst du sie wieder?"
Karl nahm ihm das Bild aus der Hand und vertiefte sich darein. Es war ein Kniestück, ganz in Hellen Tönen gehalten. Johanna stand aufrecht, schlicht und natürlich, den Blick aus ruhigen, klaren Augen dem Beschauer zugewendet, die Hände locker ineinandergelegt. Sie war wenig verändert, nur die Figur etwas voller geworden. Und das Seelische, der Hauch des Gemüts, die den feinen Zauber des kaum hübsch Zn nennenden Frauenkopfes ausmachten, hatten sich in wunderbarer Weise herausgearbeitet.
Allerlei widerstreitende Gefühle bestürmten Karl beim Anblick seiner Jugendliebe. Damals in Göttingen, als Hubert im Hause ihres Vaters wohnte, hatte er täglich Gelegenheit gehabt, sie Zu sehn. Sie hatten in Mariaspring unter den grünen Bäumen zusammen getanzt und Blumen gesucht im Walde,
auf dem Wege nach der Plesfe. Und ganz allmählich hatte er gemerkt, daß die zarten verschleierten Reize es ihm angethan hatten — zu seinem Schaden. Denn Hubert war ihr augenscheinlich lieber.
Er machte also nicht viel Aufhebens von seiner stillen Neigung und gönnte sich's nur, sie täglich zu sehn. Wie hätte er's auch mit Hubert aufnehmen sollen!
Auch jetzt, während er das Bild betrachtete, grübelte Karl wieder über die seltsame Anziehnngs- nnd Aufsaugungskraft dieses Menschen. ,Wie ein Strom, der alles hinabschluckt, was ihm in den Weg kommt/ dachte er. ,Was er liebt, muß in ihm aufgehn, Eigenart, Ueberzeugung, Willen ihm opfern, ein Teil von ihm selber werden/
Das hatte er oft genug an sich selber erfahren. Wie manches Mal war er nach Hause gestürmt, wütend über die Herrschergelüste Huberts: nie wieder! Und war dann doch wiedergekommen. Bis eines Tages der Bruch da war, scharf und klaffend.
Johannas wegen.
Dieser armen Seele trug ihre Liebe mehr Dornen als Blüten. Oft schlich sie dahin mit gesenkten Schultern, ein Bild der Trostlosigkeit.
Ein hartes Wort Huberts, und alles wurde ihr dunkel. Das Leben lag auf ihr wie eine schwarze Decke. Sie kam von selber nicht wieder empor. Und Hubert, immer in seinen Ideen steckend, merkte oft nicht einmal, was er angerichtet hatte.
Bei einer solchen Gelegenheit hatte ihm Karl „seine Meinung" gesagt. Und so gründlich, daß jedes nachträgliche Mildern und Wiederguimachen ausgeschlossen war. Zum Glück kam bald darauf seine Versetzung.
Und nun saß er wieder hier bei Hubert und hielt Johannas Bild in der Hand. „Schade!" sagte er jetzt aus seinen Gedanken heraus, „daß es mit dem Heiraten noch ein Weilchen Zeit haben wird."
Hubert, der als ordentlicher Hauswirt das Kaffeegeschirr Zusammenräumte, blieb vor Karl stehn und sah ihm fest ins Gesicht. „Sie ist meine Frau," sagte er mit ruhigem Nachdruck.
„Deine — Frau?" Karl Wedekind wußte nicht recht, wie ihm geschah. Er stellte das Bild fort, als thäte es plötzlich seinen Augen weh. „Johanna? Ich — verstehe nicht —" Er faßte sich an die Stirn.
„Pfaff und Standesamt haben wir zwar weiter ^ nicht bemüht," sagte Hubert gelassen. „Ein paar ! Mächtigere haben uns Zusammengegeben: die Not ! und die Liebe."
Er sah scharf in Karls Gesicht, das deutlich zeigte, wie er mit allen Kräften diese Neuigkeit zu bewältigen suchte. Johanna, die ihm immer eine Heilige gewesen!
„Hätt' ich bloß ihre Opfer annehmen sollen?" fuhr Hubert nach einer Weile fort. „Und das einzige Glück, das armen Schluckern, wie wir's find, noch nicht verbaut ist — — Karl Wedekind," sagte er plötzlich weich, „du solltest sie einmal sehn, seit der Kleine da ist."