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Ueöer Land und Weer.
mehr, als der lauteste Willkommengruß es ver- I mocht hätte.
Er lächelte, fühlte sich aus einmal Herr der Situation. „Vielleicht fürchtete ich die Gefahr," sagte er halblaut.
„Gefährd" Sie warf geringschätzig die Lippen aus. „Hier thut Ihnen keiner was."
„So mein' ich's auch nicht," lächelte er überlegen. „Aber um Ihnen das zu erklären, müßte ich Sie mit meiner ganzen Lebensgeschichte bekannt machen."
„Eine Geschichted" fragte sie aufhorchend, mit wärmerer Stimme. „Sie haben also eine?" — Und wie für sich fügte sie seufzend hinzu: „Ich wollte, ich hätte auch eine."
Er sah sie so finster an, daß sie betroffen schwieg. Seine täglichen Sorgen, das Gespenst der Zukunft, sein schiefes Verhältnis Zur Gesellschaft — das stand plötzlich vor ihm wie der Cherub mit dem Schwert.
Er zwang sich zu einem Lächeln. „Ein teures Vergnügen, mein Fräulein. Es kostet — Herzblut."
„Gerade darum!" rief sie, immer mehr aus sich herausgehend. „Mein Gott, so hindämmern! Was hat man davon! . . . Wir haben einmal einen Sturm auf dem Atlantic erlebt. Alles ging drunter und drüber. Man dachte jeden Augenblick: adieu, Welt! — Als es wieder still wurde, wußte ich aus einmal allerlei, was ich vorher nicht gewußt hatte. Eigne Dinge, die man sonst nicht denkt. Und dann das wundervolle Gefühl: nein, unterkriegen läßt du dich nicht! Von keinem, nicht einmal vom Tode! — Ah, es war schön!"
Sie sah, ohne mit der Wimper zu Zucken, in das Helle Licht hinein, das breit durch die Fenster strömte. Es lag eine tiefe Sehnsucht in ihrem Blick. Hubert war's, als finge es in seiner Brust an Zu brennen, sich zu dehnen, zu wachsen.
„Auch eine," hatte ihr Vater gesagt. Ja, gewiß, eine verwandte Natur. Gar nicht wie die andern Weiber, feig und kleinlich, bange vor jedem Schmerz. Das war ihm etwas ganz Neues. Er grübelte, verstummte.
„Woran denken Sie?" fragte sie plötzlich.
„An Sie," antwortete er ruhig.
Sie sah ihm aufmerksam in die Augen. Nein, es war keine Unverschämtheit, daß er ihr das sagte. ,Der braucht ja die kleine Münze der Phrasen und Höflichkeiten nicht,' dachte sie. ,Und wie dumm bist du gewesen,' sagte sie sich beschämt, ,dem zuzutrauen, daß er sich hat „bitten lassen" wollen, aus Dichtereitelkeit, aus Ziererei... Und daß du ihn deshalb so schlecht behandelt hast.'
Und er mußte sie im geheimen mit Johanna vergleichen. Die arme, demütige Johanna, der seine Laune Regen und Sonnenschein war — und diese hier, fest und selbstbewußt... so etwas Freies, Sicheres, Mutiges im Blick, in der Haltung.
So hatten sie beide ihre Verwunderung aneinander.
Charlotte, im Bewußtsein, ihn verkannt zu haben und ihm eine Genugthuung schuldig zu sein, lächelte aus einmal mit versteckter Schelmerei.
„Soll ich Ihnen auch sagen, was Sie von mir gedacht habend"
„Können Sie Gedanken lesend"
„Ein bißchen. Also: ich bin ein überspanntes Geschöpf. Habe ich recht?"
„Nein," sagte er sehr ernst. Es war ihm überhaupt fast unmöglich, eine Sache scherzhaft zu nehmen. Diese Frage, die ihn wirklich tief beschäftigt hatte, am allerwenigsten.
„Doch muß ich Ihnen gestehn," sagte er nachdenklich, „daß ich noch ein wenig im Dunkeln tappe. Tief, leidenschaftlich, phantasievoll, selbstbewußt — ja, das sind Sie. Darauf schwör' ich schon jetzt. Ueberspannt? . . . Nein. Um Gottes willen! Wie können Sie den Begriff nur mit sich in Zusammenhang bringend"
Die Wichtigkeit, mit der er ihr Wesen zu ergründen suchte, war ihr wieder halb amüsant, halb befremdend. ,Ein richtiger Kauz,' dachte sie.
Sie zuckte voll Uebermut die Achseln. „Meine sogenannten Freundinnen behaupteten es. Weil ich nämlich so eine dumme Art hatte, mit mir selber immer aus dem Kriegsfüße Zu stehn. Ich weiß nicht, ob Sie das kennend"
Er sah sie staunend an. „Sie auch?"
„Natürlich! Erst recht! ... So einen ewigen Hunger nach... man weiß selber nicht, was. Ach, und die andern, immer vollkommen mit sich und der Welt zufrieden. . . Und wenn ich nur ein Wort davon laut werden ließ, dann lachten sie mich aus. Ich wurde auch — wir legten uns alle große Namen zu — der ,Faust' genannt. Nun, Sie lachen ja nicht — "
Er sah sehr wenig danach aus.
„Faust," sagte er grübelnd, mit seinen mageren weißen Fingern sein Kinn streichelnd, „der Typus des Menschen aus zwei Welten . . . den Boden unter den Füßen hat er verloren . . . und wenn er in den Himmel greift, bleibt seine Hand leer..."
Sie lächelte. „Und doch kann er's nicht lassen. Und denkt immer, daß er noch einmal einen Stern, oder einen Sonnenstrahl, oder sonst was von da oben erwischen könne," sagte sie heiter scherzend.
„Zweilebige Geschöpfe wir alle, wir Künstler," murmelte er, sie tiefsinnig anblickend wie etwas Merkwürdiges, das er nie zu sehn erwartet hatte. „Sie sind auch Künstlerin. . . Ihr Vater sagte so etwas. . . Und den ewigen Hunger. . . und den ewigen Kamps..."
Er sprach nicht zu Ende. Und plötzlich, unter einem tiefen Blick, drückte er ihr die Hand, sell und kräftig wie einem Kameraden.
Charlotte hatte ganz betroffen aufgesehn bei dieser unverhofften Vertraulichkeit. Konfessionen waren sonst ihre Sache nicht. Aber dieser Mensch war so anders, so viel einfacher, so viel offener als alle, die sie kannte. In einem dunkeln Drange, sich ihm verständlich zu machen, hatte sie ihm Wohl zu viel verraten von ihrem streng verschlossenen Innenleben.
Ein feines Rot der Scham überzog ihr Gesicht. Sie löste ihre Hand hastig aus der seinen.